Ausgewichtelt
verspürten keine Müdigkeit. Sie verspürten weder Kälte noch Durst, nahmen sich nicht einmal gegenseitig wahr, denn durch ihre Adern strömte der Zaubertrank, den der Staalo den ganzen Herbst lang gekocht und nun seinen Trollen eingeflößt hatte.
Die Kleinriesin hatte als Letzte in der langen Schlange der Trolle gestanden. Sie hatte entsetzt gesehen, was der Zaubertrank mit den Trollen machte. Ein paar Tropfen von dem grünlich leuchtenden Gebräu verwandelten selbst den scheuesten Kleintroll in ein wütend fauchendes Raubtier, das außer dem Staalo und seinen Befehlen nichts mehr sah und hörte. Diejenigen, die sich sträubten, wurden gefesselt und gezwungen, eine größere Dosis zu schlucken, und nach einigen qualvollen Atemzügen schworen auch sie dem Staalo unbedingte Treue. Die Kleinriesin sah sich nach einem Fluchtweg um, doch der Eingang zur Höhle war versperrt. Bald würde sie vor dem Staalo und seinem Zaubertrank stehen.
Die Kleinriesin fürchtete sich. Von dem Getränk war nur noch eine Tasse voll übrig, doch es sprudelte und blubberte unheilverkündend. Als der Staalo in seiner ganzen schwarzen Macht zu ihr trat, wurde der Kleinriesin schwindlig. Der Staalo sah ihr mit stechendem Blick in die angstvoll aufgerissenen Augen und zischte:
»Wie machen wir es, Kleinriesin? Freiwillig oder mit Gewalt?«
Da die Kleinriesin gesehen hatte, wie hart der Staalo mit denjenigen umsprang, die sich wehrten, öffnete sie wortlos den Mund. Als der Staalo ihr den Becher mit der letzten Portion des Zaubertranks an die Lippen hielt, stieg von unten eine große Blase auf, die an der Oberfläche platzte und grünen Rauch freisetzte. Die Kleinriesin wimmerte unwillkürlich. Da goss ihr der Staalo die ganze Portion auf einmal in den Hals, und sie schluckte hustend. Das Gebräu brannte ihr in der Kehle, und sie spürte, wie es immer weiter nach unten floss. Sie hielt den Atem an, doch die Flüssigkeit näherte sich unaufhaltsam ihrem vor Angst hämmernden Herzen. Ihre Panik wurde immer größer, aber dann setzte plötzlich die Wirkung des Zaubertranks ein: Eine gewaltige, brennende Leidenschaft erfasste ihren Körper, und die Kleinriesin vergaß alles andere. Es gab nur noch den mächtigen Staalo, zu dessen Füßen sie sich niederwarf, nur noch sein dumpfes Lachen in den Ohren und seinen Befehl, dessen Befolgung die riesige Schar der Trollkrieger einmütig und stark machte. »Auf in den Kampf, der Staalo befiehlt!«, riefen die Trolle wie aus einem Mund, und am lautesten erschallte die Stimme der Kleinriesin.
Nun liefen sie, waren die ganze Nacht gelaufen. Die Kleinriesin rannte allen anderen voran, stolz auf ihre Kräfte, mit denen sie dem Staalo dienen würde. Der Staalo war bereits mit dem Sturm auf den Korvatunturi geflogen. Er hatte nach seinen Kriegern gerufen, und nun waren sie ihm schon ganz nah. Die Kleinriesin eilte mit langen Schritten voran. Sie lief um die Wette mit einem keuchenden massigen Höhlentroll, der ihr vage bekannt vorkam. An die Fersen der beiden hatte sich ein Dunkeltroll mit schwarzen Augenbrauen geheftet. Sie erkannten sich nicht mehr. Die einzigen Dinge, die für sie zählten, waren das Brennen des Zaubertranks und die Befehle des mächtigen Staalo. Jeder wollte der Erste sein, der vor dem Staalo stand, der stärkste und beste seiner Krieger, und deshalb rannten sie immer schneller.
Der Weihnachtsmann sah, welcher Rausch die Trollschar erfasst hatte, und wusste sofort, dass er dagegen machtlos war. Aber wer konnte ihm helfen? Wer würde es wagen, die Trolle anzugreifen?
»Staalo, das kannst du nicht tun. Schick deine Trolle zurück, lass mich gehen, und gönne den Kindern ihr Weihnachten. Noch kannst du den Rückzug antreten und in Frieden auf deinem Berg leben.«
Der Staalo drehte sich erbost zum Weihnachtsmann um.
»Ich soll mich ausgerechnet in dem Moment zurückziehen, da mir der Sieg gewiss ist?«
Seine Augen sprühten Funken, und seine Miene wurde immer grausamer und wütender.
»Du wirst dich zurückziehen, Weihnachtsmann, und ich sperre dich für den Rest deines langen Lebens in dein elendes kleines Haus!«, brüllte er. »Trolle, stürzt euch auf den Weihnachtsmann!«
Die Trolle kamen brüllend, knurrend und fauchend näher. Der Weihnachtsmann bebte vor Angst, doch da schien sich plötzlich alles zu wenden. Als die Trolle den Gipfel des Korvatunturi fast erreicht hatten, hörte der Weihnachtsmann das erste Glöckchen bimmeln. Es war ein schöner und vertrauter Klang. Er
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