Ausgezählt
war. Der Junge war in die Uniklinik geflogen worden.
Manfred Klee wurde seit Stunden operiert. Seine Verbrennungen waren fast so gering wie die Brunos, aber eine Kugel hatte seinen Unterleib aufgerissen. Falls er sich keine Sepsis einfing, hatte er Chancen durchzukommen.
»Wir sollten uns ein paar ruhige Tage gönnen«, meinte Benedikt und zeigte Bruno, wo es rausging.
Die anderen Toten des Tages verschwieg ihm der Kriminalrat. Vielleicht, weil er meinte, Bruno schonen zu müssen.
74.
Blitz, Freitag, 26. April, Seite zwei:
NORDRHEIN-WESTFALEN TRAUERT UM SONJA LEMKEMINISTERGATTIN SETZTE IHREN QUALEN EIN ENDE
Düsseldorf/Meerbusch – Ihr Tod lähmt. Ihr Tod löst tiefe Trauer aus. Unfassbar ihr Selbstmord mit einer Überdosis Medikamenten. Am Abend fand ein Fahrer ihres Mannes die tote Ministergattin. Da war Sonja Lemke schon mehr als einen halben Tag lang tot.
Zwei Abschiedsbriefe neben dem Bett. Von unerträglichen Qualen ist die Rede. In einer Erklärung des Innenministers heißt es, seine Gattin habe an schweren Depressionen gelitten. Ihre Seele hatte sich verdunkelt.
Die Lortzingstraße in Meerbusch-Büderich am späten Abend. Nachbarn kommen mit Blumensträußen, stehen wie angewurzelt vor den Absperrgittern neben Journalisten und Fernsehteams. Eine Frau weint: »Was sie für die Menschen getan hat, kann man gar nicht ausdrücken.«
Gegen zweiundzwanzig Uhr trifft Innenminister Axel Lemke ein. Er hatte im Anschluss an einen Benefizboxkampf der Düsseldorfer Polizei eine Feier besucht – für den Innenminister ein Arbeitstermin. Seine Miene ist versteinert, seine Haltung gebückt. Die Schmerzen eines Witwers. Axel Lemke hält Totenwache, verabschiedet sich von seiner Frau, bis gegen Mitternacht der Bestattungsunternehmer die Leiche von Sonja Lemke abholt. Beobachter fragen sich: Wird Lemke, der schon als künftiger Ministerpräsident gehandelt wird, nach diesem Schicksalsschlag weitermachen können?
Die Nation erinnert sich an eine fröhliche, humorvolle Sonja Lemke. Noch vor zwei Monaten warb sie bei »Wetten dass« für die Hilfsorganisation ›Weißer Ring‹, die Verbrechensopfern beisteht. So zeigte sich Sonja Lemke: Nicht nur als Repräsentantin an der Seite ihres Mannes, sondern auch als eigenständige, tatkräftige Frau. Soziale Verantwortung war für sie Verpflichtung. Nur engste Freunde wussten von dem rätselvollen Leiden, das ihr Inneres zerfraß. Seit Jahren verließ sie das Haus kaum, schirmte sich zunehmend von der Umwelt ab. Ihre Termine für den »Weißen Ring‹ waren die einzigen, die sie noch regelmäßig wahrnahm. Oskar Billerbeck (62) kennt die Familie seit Jahrzehnten. Der Fahrer, der die Tote fand, gehörte zu Sonja Lemkes engsten Vertrauten, brachte jeden Tag die Zeitung. Noch letzten Samstag fuhr er sie in ihr Lieblingslokal, das Lörricker »Hummerstübchen«. Billerbeck: Sie habe so locker wie schon lange nicht gewirkt. Dass sie ihre Krankheit nicht mehr ertrug – davon habe niemand etwas ahnen können.
Blitz, Freitag, 26. April, Lokales, letzte Seite:
›PUMA‹ BRUNO WEGMANN – TOCHTER SEINES TRAINERS TOT
FOTOGRAF ENTDECKTE DROGENOPFER IN SEINEM ATELIER
Von Alex Vogel.
Tragisches Ende einer Model-Karriere. Kehrseite einer Welt von Glanz und Glamour. Während ihr Vater als Betreuer des Polizisten und Boxers ›Puma‹ Bruno Wegmann für einen guten Zweck im Rampenlicht stand (siehe Bericht auf Seite 27), starb Tochter Hannah Janssen (19), angehende Zahnarzthelferin und Gelegenheits-Model, den Drogentod.
Starfotograf Marcel Horrenkamp entdeckte die Tote in seinem Studio an der Düssel. Horrenkamp, ganz geschockt: »Kam gerade vom Shooting. Weiß nicht, woher das Mädchen den Schlüssel hatte.«
Erste Untersuchungen wiesen hohe Konzentrationen von Heroin und Kokain im Blut der Toten nach. Der Tod sei durch Ersticken an Erbrochenem eingetreten, so die Ermittler. Spuren weisen darauf hin, dass das Mädchen zur Zeit der Einnahme der Drogen nicht allein gewesen ist. Die Staatsanwaltschaft erwägt Ermittlungen gegen unbekannt wegen unterlassener Hilfeleistung. Fotokünstler Horrenkamp kannte das Mädchen von diversen Shootings. »Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele dieser Models Drogen nehmen. Sie bekämpfen damit ihren Hunger, weil sie glauben, nur mit magerem Körper auf die Titelseiten gelangen zu können«, so der Meister zahlreicher Werbeaufnahmen und Modestrecken, der nach eigenen Angaben »eher den rundlichen Frauentyp«
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