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Ausgezählt

Ausgezählt

Titel: Ausgezählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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mussten, weil für die Amis jedes Schlitzauge ein Nam war.
    Ein Einheimischer berichtete über seine private Vergangenheit. Die Roten Khmer hätten ihn einst gezwungen, seinen Lehrer zu erschlagen. Seine Mutter sei wegen Diebstahls von Volkseigentum erschossen worden, weil sie eine Mango vom Baum gepflückt hatte, um nicht zu verhungern. Sein bester Freund sei wegen Sabotage zu Tode geknüppelt worden – er hatte eine Hand voll Schweinefutter stibitzt.
    Bruno fragte: »Warum erzählst du den Touristen so etwas?«
    »Weil meine Leute mir den Mund verbieten. Die Jungen glauben es nicht und die Alten wollen nichts mehr davon wissen.«
    Auf dem Heimweg witzelte Brunos Begleiterin über das schlechte Englisch der Kambodschaner. Sie war eine pensionierte Tierärztin aus Schweden, die im gleichen Hotel wie Bruno logierte. Ihr Englisch war perfekt, aber sie hatte ihm nicht eine Geschichte erzählt.
    An der Rezeption lag ein Fax aus Deutschland. Für ihn, Bruno Wegmann. Ein Artikel aus der Düsseldorfer Ausgabe des Blitz vom 29. April.
    Geiseldrama verweist auf Mordfall.
    Bruno überflog den Text. Die Spekulationen des Zeitungsschmierers setzten den Ereignissen der letzten Monate die Krone auf: Manfred Klee als Mörder der eigenen Familie, vernebelt durch den Konsum halluzinogener Pilze – die Alliterationen im letzten Satz musste man sich auf der Zunge zergehen lassen.
    Es hieß, Fred habe seinem Leben ein Ende gesetzt – offenbar war er den Schüssen erlegen, die Narbengesicht Lauffer ihm verpasst hatte.
    Der Name des Drahtziehers wurde nicht erwähnt. Kein Versuch der Kollegen, den Verbrechen auf den Grund zu gehen.
    Ausgerechnet ihn hatte der Zeitungsartikel als Kronzeugen angeführt für all die Heuchelei und Irreführung. Eine infame Pointe.
     
    Bruno wollte noch einmal Angkor Wat sehen.
    Er fuhr mit dem Rad – noch hatte die Regenzeit nicht begonnen. Eine gute halbe Stunde musste Bruno strampeln. Neben einem Souvenirstand schloss er das Fahrrad ab. Er ignorierte die Kinder, die ihn umzingelten.
    Hello Mista! Wandalla! Col’ drink? Buy T-Shir’?
    Auch den T-Shirt-Verkäufern schenkte Bruno keinen Blick. Dem Minenopfer ohne Beine und Arme, einem Mädchen, das Verwandte jeden Morgen am Westtor ablegten, hatte er schon genug gespendet.
    Zwei Stunden verbrachte er im Tempel. Er grüßte die friedvollen Statuen und Reliefs. Tausende von Apsaras schienen mit ihm zu flirten.
    Er begegnete Mönchen in curryfarbenen Gewändern. Andere trugen Kutten in knalligem Orange, gestiftet von Paramount, damit sie als Statisten mehr Farbe in den Film brachten – auch das hatte der Wirt der Red Piano Bar berichtet.
    Fünf Türme, die den Sitz der Götter symbolisierten – Bruno erklomm sie, so hoch es ging.
    Er genoss die Aussicht auf die weite Landschaft an den Ufern des Tonle Sap.
    Er zog das Fax aus der Tasche und strich es glatt.
    Bruno war sich sicher, dass die Legendenbildung des Blitz auf einer Vertuschungskampagne Pommers beruhte – unterstützt vom mächtigen Mentor Lemke, der für den Rest seiner Ministertage dem Grauschopf verpflichtet war.
    Weil Bruno das alles vorausgesehen hatte, war er ans Ende der Welt gefahren.
    Der Abstand zu seinem bisherigen Leben betrug fünf Tage und knapp zehntausend Kilometer.
    Er las den handschriftlichen Zusatz am Ende des Blatts.
     
    Ich ruf dich morgen früh an – für dich 16 Uhr kambodschanischer Zeit.
    Gruß vom Rhein an den Tonle Sap – Benedikt
     
    Bruno fragte sich, woher der Lange wusste, wie er zu erreichen war.
    Wahrscheinlich von Mutter. Jetzt waren es schon zwei, die ihn zur Rückkehr überreden wollten.
     
    Im düsteren Gang einer Galerie am Rand des Tempelkomplexes entdeckte Bruno ein Relief, in dem keiner lächelte.
    Es handelte vom Krieg. Im zwölften Jahrhundert wurden Wandzeitungen gemeißelt. Soldaten marterten die Unterlegenen, trieben Nägel in ihre Körper, schnitten ihnen die Zungen ab. Sieger spießten Besiegte mit Speeren auf.
    Eine Geschichte, die nicht in schlechtem Englisch erzählt wurde. Sie konnte überall spielen – der Gedanke daran machte sie noch grausamer.
    Bruno verließ den Tempel. Das Minenopfer saß noch an seinem Platz. Sein Anblick ließ ihn an Leute ohne Finger denken. Er legte eine Dollarnote in den Korb und wimmelte die Kinder ab, die ihn bestürmten.
    Sie riefen »Bum-Bum« und meinten Bonbons. Wahrscheinlich hatten die Leute aus Hollywood sie damit verwöhnt.
    Jemand hatte sein Fahrrad geklaut. Nach einiger Suche erwischte Bruno ein

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