Ausgezählt
Gegners, der zu spät die Fäuste hochriss. Bruno wich zurück, Ekinci ging nach vorn und kassierte eine weitere Kombination, die ihn wie ein Trommelwirbel an Körper und Kinn traf.
Ja! Das war es, was Janssen dem Jungen gepredigt hatte, seit er ihn als Dreizehnjährigen unter die Fittiche genommen hatte. Dominanz ausüben. Dem anderen den Rhythmus aufzwingen und ihn demoralisieren. Sobald der Gegner innerlich aufgibt, hast du gewonnen.
Die erste Runde im Kampf um die Niederrheinmeisterschaft im Halbschwergewicht der Amateure war vorbei.
Wenn der Junge Glück hatte, würden die Kampfrichter sie unentschieden werten.
Janssen kletterte in den Ring und nahm Bruno den Mundschutz heraus. Wilfried, der Co-Trainer, hievte den Eimer auf das Podest und drückte den Schwamm auf Brunos Stirn aus.
»Dem Türken hab ich was zu denken gegeben«, sagte Bruno ohne Feuer in der Stimme. Als sei er mit den Gedanken woanders.
Bei seiner neuen Freundin, vermutete Janssen.
»Du hast die Runde ordentlich abgeschlossen, das war alles«, sagte er.
»Ich tanze. Das macht Eindruck auf die Richter.«
»Ach was.«
Jeden anderen Kämpfer hätte Janssen angebrüllt. Aber bei Bruno wirkte die übliche Anfeuerung nicht. Janssen spürte seine Grenzen als Trainer. Er hatte zwar die Lizenz, aber er war nicht mehr als ein sechsundfünfzigjähriger Maschinenschlosser und Exboxer, der ehrenamtlich die Aktiven des TuS Gerresheim betreute.
Er schob Bruno den Mundschutz zurück auf die Zähne, tätschelte ihm den Nacken und blickte ihm streng in die Augen, hoffend, dass er ihn damit aufrütteln würde.
»Ring frei, Runde zwei«, rief der Zeitnehmer.
Ekinci schlug die Fäuste unternehmungslustig gegeneinander. Bruno umkreiste ihn. Ein kurzer Schlagabtausch, dann hatte der Türke den Gerresheimer in der Ecke. Bruno blockte die wuchtigen Hiebe ab, so gut er konnte. Janssen fragte sich, wer da wem etwas zu denken gab.
Der Junge rettete sich in den Clinch. Der Ringrichter trennte. Bruno tanzte wieder, wich aus und griff gerade oft genug an, um nicht wegen Untätigkeit verwarnt zu werden. Janssen hielt es kaum auf der Bank. Als Sekundant musste er still bleiben – der Ringrichter war als scharfer Hund bekannt und eine Disqualifizierung war das Letzte, was Janssen für seinen Liebling riskieren wollte. Er schraubte den Flachmann auf und genehmigte sich einen Schluck zur Beruhigung.
Tänzeln und Finten. Der Gong. Ein verächtliches Abwinken des Duisburgers: Du hast nichts außer deinen flinken Beinen.
Bruno wehrte den Schwamm ab. Er wirkte frisch, keine Schramme im Gesicht. Nur seinem Atem war anzumerken, dass er in einem Finalkampf stand. Wilfried hielt ihm den Becher hin. Der Junge trank, spülte den Mund aus und spuckte in den Eimer. Janssen knetete ihm den Nacken. Der Trainer folgte Brunos Blick und entdeckte zwei leere Stühle in der zweiten Reihe – der Junge hatte sie für seine neue Freundin und einen Kollegen reserviert.
»Ist das der Grund, warum du nicht kämpfst?«, fragte Janssen.
Bruno schwieg. Er hatte die Dienststelle gewechselt und arbeitete seit kurzem meist abends oder nachts. Er konnte nicht mehr regelmäßig trainieren und für Wettkämpfe wie heute musste er sich freinehmen. Nach der Niederrheinmeisterschaft sei Schluss, hatte er Janssen erklärt. Der Trainer wusste, dass die Entscheidung nicht allein wegen Brunos Job gefallen war.
Wie so oft. Die besten Sportler hingen die Handschuhe an den Nagel, wenn die Freundin nichts für das Boxen übrig hatte. Janssen fand es schade, dass seine eigene Tochter zu jung für Bruno war. Hannah würde dem Jungen den Sport nicht verbieten.
»Mensch, zeig endlich, was du draufhast!«, quengelte Wilfried.
Bruno schielte auf die Uhr an Janssens Handgelenk.
Karen hieß seine Neue. Eine Fernsehjournalistin. In diesen Kreisen spielte man Tennis oder Golf, vermutete der Trainer. Vor Jahren hatte sich Bruno schon einmal überreden lassen, das Boxen aufzugeben. Falsche Freunde, Flausen im Kopf. Diesmal schien es endgültig zu sein. Janssen wünschte ihm Glück. Der Junge war einunddreißig. Eigentlich schien sein neues Mädel ja auch ganz nett zu sein. Aber Bruno sollte verdammt noch mal nicht auf diese Art abtreten!
Der Zeitnehmer kündigte die nächste Runde an, Janssen und sein Helfer räumten die Ecke.
Der Tanz ging weiter. Ekinci griff an, drängte Bruno gegen die Seile, wollte den entscheidenden Schlag landen. Der Junge deckte das Gesicht ab, der Türke trommelte gegen Arme und
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