Ausländer
sie sagten, aber er spürte, dass beunruhigende Zeiten heraufzogen.
»Sie werden kommen. Ich weiß, dass sie kommen«, sagte Frau Bruck. Herr Bruck nickte und nahm die Hand seiner Frau.
»Vielleicht ist es ja das Beste, mein Schatz«, sagte er. »Verzeih mir, aber dieses Land ist klein und rückständig, und die Kommunisten versuchen ständig, uns an die Sowjets zu verschachern. Wir wären hier sicherer, wenn die Deutschen uns beschützen würden. Wenn jemand kommen sollte, um uns zu schlucken, ob nun aus dem Osten oder Westen, wäre es mir lieber, es wäre jemand von unserem Schlag. Ich möchte nicht, dass die polnischen Kommunisten mit diesen Verrückten jenseits der Grenze in Russland gemeinsame Sache machen. Wenn die Kommunisten an die Macht kommen, stellen sie Leute wie uns an die Wand und erschießen sie. Jeden, der Land besitzt. Die Bauernhöfe werden verstaatlicht und kollektiviert. Dann verhungert die halbe Bevölkerung. So wie in der Ukraine.«
Dieses Argument leuchtete Frau Bruck halbwegs ein, denn die Russen fürchtete sie noch mehr als die Nazis.
Im Sommer 1939 war Piotr geradezu in die Höhe geschossen, in einem halben Jahr wuchs er ganze fünfzehn Zentimeter. Er hatte seine Mutter gebeten, ihm lange Hosen zu kaufen, weil es ihm peinlich war, mit seinen langen dünnen Beinen in kurzen Hosen umherzulaufen. Sie hatte versprochen, ihm eine lange Hose zu nähen, aber niemals Zeit dafür gefunden. Die Nachrichten, die aus der Welt außerhalb ihres Bauernhofs zu ihnen drangen, waren zu beunruhigend gewesen. Alles schien auf eine schreckliche Katastrophe zuzusteuern.
Kapitel fünf
Polen
September 1939
An einem wunderschönen Spätsommermorgen hörten die Brucks von der Kriegserklärung. Die Welt lernte ein neues Wort: Blitzkrieg. Tief im Westen überrannten die Deutschen die polnischen Verteidigungslinien und erreichten in weniger als einer Woche die Außenbezirke von Warschau, wo sie die polnische Hauptstadt in Belagerung nahmen. Die Radioberichte, die Piotr verfolgte, waren erschreckend. Ganze Städte standen in Flammen, und die Landstraßen waren durch fliehende Zivilisten so verstopft, dass die Armee ihre Truppen nicht an die Front transportieren konnte.
Frau Bruck weinte in ihre Schürze, als sie hörte, wie die tapferen polnischen Soldaten bei dem Versuch, gegen deutsche Panzer anzurennen, niedergemetzelt worden waren. Herr Bruck nahm die Nachricht mit versteinerter Miene auf. Es sei schrecklich, sagte er zu den beiden, aber Piotr wusste, dass er es für das Beste hielt.
Noch während der Belagerung Warschaus passierte schließlich das, was sie am meisten gefürchtet hatten: Die Sowjets drangen von Osten nach Polen ein. Die Brucks saßen in der Falle. Denn im Westen herrschte unbeschreibliches Chaos, die Landstraßen waren immer noch verstopft durch Abertausende Flüchtlinge, die mitsamt ihren Pferden und ihrem Vieh unterwegs waren und ihr Hab und Gut in Kinderwagen, Schub- und Gepäckkarren mit sich führten. Autos wären, selbst wenn esBenzin gegeben hätte, völlig nutzlos gewesen. Zudem kursierten schreckliche Geschichten über Flüchtlinge, die offenbar von deutschen Flugzeugen beschossen worden waren.
Als Herr Bruck ins Dorf zum Einkaufen fuhr, wurde er auf der Straße von einigen seiner Nachbarn attackiert. Die Deutschen seien allesamt Mörder, schrien sie ihn an, während sie auf ihn einprügelten. Zum Glück waren es nur zwei, und Herr Bruck war kräftig gebaut. Aber nach diesem Vorfall beschloss er, den Hof nicht mehr zu verlassen, und Piotr wurde verboten, allein ins Dorf zu gehen. Sie lebten von dem, was sie selbst produzierten, und baten Freunde, ihnen die wenigen Dinge zu bringen, die sie darüber hinaus noch brauchten.
Keiner von ihnen schlief nach diesem Vorkommnis mehr ruhig. Immer wenn die Colliehündin Solveig nachts bellte oder ein seltsames Geräusch zu hören war, ging Herr Bruck mit dem Gewehr in der Hand nachsehen.
Das Wetter blieb herrlich sonnig – es gab nicht den üblichen Septemberregen, der die unbefestigten Straßen in Schlammpisten verwandelte. Stattdessen war der Boden hart und ausgetrocknet. »Ideales Wetter für Panzer«, stellte Herr Bruck mit einiger Befriedigung fest. Wäre ihre Welt nicht völlig aus den Angeln geraten, hätten sie diesen Altweibersommer genossen.
Piotr hatte nicht vergessen, was sein Vater im Jahr zuvor darüber gesagt hatte, was passieren würde, wenn die sowjetischen Soldaten kämen. Je nachdem aus welcher Richtung der Wind kam,
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