Ausländer
worden. »Einige von euch sind wie wilde Hunde, die sich nicht zähmen lassen wollen«, verkündete Doktor Fischer nach Feliks’ zweitem Fluchtversuch. »Einige von euch verdienen die Ehre der deutschen Staatsangehörigkeit nicht. Feliks Janiczek ist ins Waisenhaus zurückgebracht worden.«
Piotr hatte Feliks nicht gemocht, dennoch tat es ihm leid für ihn. Im Waisenhaus gab es so wenig zu essen. Bestimmt würden alle Kinder dort verhungern. Piotr hielt Feliks für einen unverbesserlichen Dummkopf. Man hatte ihm eine Chance geboten, und er hatte sie ausgeschlagen. Polen war am Ende. Deutschland war die Zukunft.
Tags darauf wurde Piotr zu Doktor Fischer gerufen, der ihm mitteilte, dass auch er bald abreisen würde. »Wir holen dichheim ins Reich. In Klosterheide gibt es ein Zentrum für Jungen wie dich. Die Familie, die ich für dich ausgesucht habe, lebt in Berlin, im Zentrum des Geschehens«, sagte er. »Ich bin gewillt, dich persönlich zu empfehlen. Ich vertraue darauf, dass du mich nicht enttäuschen wirst.«
Kapitel drei
Zwischen Warschau und Klosterheide
24. August 1941
Piotr lehnte die Stirn gegen das Zugfenster und sah zu, wie die flachen Felder der Nordeuropäischen Tiefebene an ihm vorbeizogen. Er war müde. Gelegentlich fielen ihm die Augen zu und sein Kopf sackte nach unten, sodass er abrupt aus dem Halbschlaf fuhr.
Als das Glas von seinem Atem beschlug, wischte er die Feuchtigkeit mit dem Ärmel seines neuen Pullovers weg.
Seine Begleiterin auf dieser Reise war Fräulein Spreckels, die hübsche junge Krankenschwester aus dem Sammelzentrum. Sie tadelte ihn sofort. »Das ist kein Wischtuch, Piotr. Du musst lernen, auf deine Kleidung besser Acht zu geben.«
Am Ende des Tages, hatte das Fräulein ihm erklärt, würden sie in Klosterheide sein. Wenn alles gut ginge, wäre er in ein oder zwei Wochen in einem neuen Zuhause, einem wirklichen Zuhause.
Auf dem Gleis gegenüber donnerte ein Zug voller Soldaten Richtung Osten vorbei. Vor die Lokomotive war ein Tiefladewaggon gespannt, auf dem Luftabwehrgeschütze montiert waren. In den Passagierwagen und durch die offenen Türen der Güterwaggons konnte Piotr Soldaten sehen, die schliefen, tranken oder Karten spielten. Einige sangen, und während sie vorbeisausten, konnte er über das Rattern der Räder und dasFauchen der Dampfmaschinen hinweg beinah ihre Stimmen hören. Offenbar waren sie bester Laune.
Beim Anblick der Geschütze vorn am Zug fragte sich Piotr bange, ob vielleicht auch sie selbst aus der Luft angegriffen würden. Er hatte davon gehört, welche Schäden ein Sturzkampfbomber in einem Dorf anrichten konnte, und er wusste, dass ein Zug einem angreifenden Flugzeug schutzlos ausgeliefert wäre.
»Fräulein Spreckels, warum haben wir keine Kanonen zu unserem Schutz?«
Sie lachte. »Wer sollte uns denn angreifen, Piotr? Unsere Jungs haben schon in den ersten Tagen der Invasion den Großteil der sowjetischen Luftwaffe zerstört. Und die Tommys können von England aus nicht so weit fliegen.«
Während der Zug weiterrumpelte, veränderte sich die Landschaft allmählich. Anstatt der verstreuten Bauernhöfe und Felder waren nun Straßen und eng stehende Häuser zu sehen. »Wo sind wir?«, fragte Piotr.
»Im Wartheland!«, antwortete sie stolz. »Du bist jetzt wieder daheim in Deutschland! Das alles ist Land, das wir uns von Polen zurückgeholt haben.«
Als der Zug eine Kurve machte, konnte man die Kirchturmspitzen und hohen Gebäude des Stadtzentrums ausmachen. »Ich kenne diesen Ort«, sagte Piotr. »Ich war schon mal hier. Das ist Łódź.«
Fräulein Spreckels schaute ihn streng an. »Das ist nicht mehr Łódź, Piotr. Es heißt jetzt Litzmannstadt.«
Der Zug hielt kurz am Bahnhof, und sie stieg aus, um von einem fliegenden Händler am Bahnsteig Brot und Schinken zu kaufen. »Du wirst mir doch nicht weglaufen?«, fragte sie, nur halb im Scherz.
»Ich will nach Deutschland«, erwiderte Piotr ernst. »Warum sollte ich denn weglaufen?«
Piotr bemerkte, dass sämtliche Schilder am Bahnhof neu waren, auf Deutsch, mit großen Frakturlettern. Es gab hier nichts mehr, was Polnisch klang. Doch wie jeder Schuljunge wusste, war vor der Invasion Łodź die zweitgrößte Stadt Polens gewesen.
Piotr sah Fräulein Spreckels fröstelnd am Bahnsteig stehen. Ein kalter Frühherbstwind blies von der Ostsee her. Hinter ihr befand sich der Wartesaal, vor dem ein Schild hing:
Die Deutschen hatten einen grausamen Sinn für Humor, dachte Piotr. Aber jetzt
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