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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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Piotr hatte ihn ebenso gefürchtet wie geliebt. Aber sie hatten nie Hunger gelitten, und Piotrs Vater war ein geduldiger Lehrmeister gewesen, der ihm beibrachte,wie man Kühe molk, einen störrischen Dieselmotor reparierte und eine Eiche von einer Lärche unterschied.
    An seine Mutter hatte Piotr zärtlichere Erinnerungen. Von ihr hatte er weit mehr gelernt als in der Dorfschule. Immer war sie an seinen Geschichten und Einfällen interessiert gewesen. Sie hatten gemeinsam ausgiebige Spaziergänge durch die Felder unternommen und sich dabei stundenlang unterhalten. Wie er war sie groß und blond gewesen. Er kam eindeutig nach seiner Mutter. Das hatte man ihm jedes Mal gesagt, wenn er in den Dorfladen ging.
    Wie gebannt von der endlosen Aneinanderreihung von Feldern und Dörfern schweiften Piotrs Gedanken immer weiter ab. Seit ihm bewusst war, dass die Welt jenseits seines Dorfes nicht zu Ende war, hatte es ausgesehen, als laufe alles auf eine Katastrophe zu. Und dann war diese Katastrophe eingetreten.
    Den Schatten, den sie vorauswarf, bekam er erstmals zu spüren, als er zehn war. Es war im Spätwinter. Seine Eltern saßen in der Küche vor dem großen Rundfunkempfänger neben dem Herd und lauschten den Nachrichten, die berichteten, dass die Nazis in Österreich einmarschiert seien. Seine Mutter sah besorgt aus. »Er ist jetzt auf dem Kriegspfad«, sagte sie. »Wen wird er sich als Nächstes einverleiben?«
    »Wer ist ›er‹?«, fragte Piotr.
    »Hitler«, sagte seine Mutter kurz angebunden. »Der deutsche Reichskanzler. Ein böser kleiner Mann. Man muss ihn nur ein paar Worte reden hören, dann weiß man schon, was für ein Hass in ihm steckt.«
    Diese Äußerung führte zu einem schrecklichen Streit zwischen seinen Eltern. Sie zankten sich nur selten, und Piotr wardarüber so entsetzt, dass er in sein Zimmer flüchtete. Der Streit gipfelte darin, dass sie sich gegenseitig anbrüllten, und Piotr bekam jedes Wort mit. Piotrs Vater schrie, Hitler – den er den Führer nannte – werde Deutschland wieder zu einer großen Nation machen. Seine Mutter, außer sich und in Tränen aufgelöst, erwiderte, die Nazis seien heimtückisch und brutal. »Sieh nur, was sie mit den Juden in ihrem Land machen«, sagte sie. »Sie schlagen sie auf den Straßen zusammen, rufen, niederträchtig wie sie sind, zum Boykott jüdischer Geschäfte auf … und das ist noch längst nicht alles. Sie bringen sie auch kaltblütig um.«
    Als das Gebrüll verebbt war, schlich sich Piotr auf den Treppenabsatz hinaus. Er wollte jetzt genau wissen, was sie miteinander redeten. »Die Anhänger des Führers sind manchmal ein wenig übereifrig«, sagte Herr Bruck bedächtig. »Aber die Juden in Deutschland waren zu gierig. Sie haben sich zu viele der besten Arbeitsstellen unter den Nagel gerissen, und am Ende des letzten Kriegs haben sie dem Land den Dolch in den Rücken gestoßen.«
    »Axel, du weißt, dass das Unsinn ist«, gab Frau Bruck entrüstet zurück. Sie war ganz aufgebracht. »Du redest daher wie ein Nazi – als gäbe es eine große jüdische Verschwörung, als würden sie alle unter einer Decke stecken!«
    Herr Bruck erwiderte nichts. Der Streit war fürs Erste beendet.
    Diese Äußerungen über die Juden verwirrten Piotr. Er kannte im Dorf jüdische Kinder. Manche waren seine Spielgefährten, und hätten sie ihm nicht erklärt, dass sie Juden seien, nachdem er gefragt hatte, warum er sie nie in der Kirche sah, hätte er es nie erfahren. Andere, viel ärmere Kinder, die vor Kurzem aus dem Osten gekommen waren, blieben unter sich. Sie trugenlange Schläfenlocken, und die Männer hatten große buschige Bärte und lange dunkle Mäntel. Auf Piotr wirkten sie nicht sehr bedrohlich. Zogen sie wirklich, wie manche Leute behaupteten, bei allem, was geschah, im Hintergrund die Fäden und brachten andere um ihr Geld? Ihm erschienen sie als die ärmsten Menschen, die er je gesehen hatte.
    Den Sommer über brachten die Zeitungen und das Radio noch mehr unheilvolle Nachrichten. Die Grenzregionen der Tschechoslowakei waren von den Nazis besetzt worden. Ein halbes Jahr später besetzten sie das ganze Land. »Wir kommen als Nächstes dran«, sagte Frau Bruck.
    Piotrs Vater bewahrte Ruhe. An jenem Tag sprachen sie beim Abendessen darüber, welches Schicksal ihrem Land wohl bevorstand. Piotr hörte gespannt zu. Er war es gewohnt, Erwachsenengespräche zu verfolgen, da er als Einzelkind allein mit seinen Eltern aufwuchs. Zwar verstand er nicht alles, was

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