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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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»Papa, erzählt ihr noch einmal die Geschichte, die wir als kleine Kinder immer gehört haben? Die vom Jesuskind und dem Stall und den drei Weisen aus dem Morgenland?«
    Kaltenbach winkte sie zu sich und nahm sie auf den Schoß. »Traudl, mein Liebling«, sagte er zu seiner Tochter, die ganz verlegen wirkte. » Da ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte Anschläge wie ein Kind; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war. Wer hat das geschrieben?« Er blickte Liese an. »War das Goethe? Oder Kant?«
    Sie zuckte die Schultern und schüttelte den Kopf.
    »Es war der heilige Paulus. Im Brief an die Korinther«, sagte Elsbeth bissig.
    Traudl, die eigentlich schon zu groß war, um auf dem Schoß ihres Vaters zu sitzen, sah verwirrt und unsicher aus. Liese Kaltenbach klatschte in die Hände. »Jetzt machen wir die Geschenke auf«, schlug sie vor.
    Traudl bekam ein Buch über die Gefahren von Beziehungen mit Juden. Sie saß in einer Ecke und verschlang es begierig. Peter blickte ihr verstohlen über die Schulter. Ein Bild zeigte einen anzüglich blickenden Juden in schickem Geschäftsanzug mit Zigarre und Monokel. Er beugte sich über seine Sekretärin, ein junges, schönes, nordisches Mädchen, das von seiner allzu großen Aufmerksamkeit verunsichert schien. Die Bildunterschrift lautete:
    Unwissende, gelockt vom Golde,
    Sind für den Juden leichtes Spiel.
    Vergiftet die Seele, verseucht das Blut,
    Reift im Schoß der Entehrten Verhängnis heran.
    Traudl merkte, dass Peter ihr über die Schulter lugte. »He!«, protestierte sie. »Das ist nur für Mädchen!«
    »Für dich haben wir auch was, Peter«, sagte Frau Kaltenbach und überreichte ihm ein in braunes Papier gewickeltes Päckchen. Er wusste sofort, dass es sich um Bücher handelte. Seine Mutter hatte ihn stets zum Lesen ermuntert. Er liebte seine Bücher, hoffte aber, dass es in diesen hier nicht nur um Nazis ging.
    Sein Geschenk waren sechs schmale Bände aus der gleichen Serie – die »Kriegsbücherei der deutschen Jugend«. Vom Einband her machten sie einen spannenden Eindruck: Titel wie Flammenwerfer vor! und Schlachtschiffe im Atlantik . Peter blieb an Vorwärts, immer vorwärts! hängen, einem Bericht über die ersten Wochen der Invasion in Russland. Er schlug das Buch aufs Geratewohl auf und verlor sich in der mitreißenden Schlachtschilderung.
    Um 5.30 Uhr wird die Stille jäh zerrissen. Mit einem Schlag ist das deutsche Ufer lebendig. Auf der ganzen breiten Front blitzen die Mündungsfeuer der Geschütze und schweren Infanteriewaffen auf. Als der Schall der Abschüsse die am Ufer kauernden Stürmer erreicht, bersten drüben schon in feuriger Lohe die Einschläge. Und dann rollt und orgelt und faucht es nach drüben. Schon sind die einzelnen Einschläge nicht mehr zu unterscheiden. Das ist ein einziges Krachen, Surren, Klatschen und Pfeifen. Im Fluß gehen Erd- und Steintrümmer nieder. Splitter surren   …
    Elsbeth überreichte ihrem Vater ein kleines Päckchen, so schwer, dass sie es kaum mit einer Hand halten konnte. »Was ist denn das?«, fragte er neugierig.
    Er wickelte es aus. Es war ein klobiger Türklopfer aus massivem schwarzem Eisen. Der mit einem Scharnier versehene kreisrunde Schlegel war mit erhaben gearbeiteten Eichenblättern dekoriert, deren Mitte ein Hakenkreuz bildete. Direkt darunter, dort wo der Schlegel aufschlug, befand sich ein grotesker, karikaturhafter Judenkopf – breite, hebräische Züge, eine riesige Nase, ein zur Grimasse verzogenes Gesicht – wahrscheinlich vor Schmerz, weil er den Schlegel auf die Stirn bekam. »Wie schön«, sagte Professor Kaltenbach. Er versuchte höflich zu sein, aber die ganze Familie merkte, dass ihm das Geschenk nicht gefiel.
    »Elsbeth, mein Schatz, wir haben einen Türklopfer, der bestens funktioniert«, erklärte Liese Kaltenbach. Tatsächlich hatten sie an der Eingangstür einen wunderschönen Löwenkopf aus Kupfer. Elsbeth schaute gekränkt zu Boden.
    Doch Kaltenbach rettete die Lage. »Liebling«, sagte er zu seiner Ältesten, »deine Mutter hat recht. Diesen wunderbaren Klopfer werde ich ins Kaiser-Wilhelm-Institut mitnehmen und an meiner Bürotür anbringen.«
    Anfang Januar, als Elsbeth bei der Arbeit war, rief Herr Kaltenbach Peter zu sich. »Dieser Türklopfer«, sagte er in verschwörerischem Flüsterton, »passt nicht ins Institut. Willst du ihn nicht für eure HJ -Bude mitnehmen? Dort wird man begeistert sein.«
    Peter willigte

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