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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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daran glauben, doch die Ostarbeiter gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Und doch wollte er Teil der Familie Kaltenbach sein. Nie hatte er wirklich darüber nachgedacht, was geschehen würde, wenn sie ihn verstießen. Würde er zurück nach Polen geschickt oder in eines der Lager, von denen er gehört hatte? Er begann so laut wie möglich zu singen – wie um diese beängstigenden Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen.
    Als Peter und die Mädchen mit randvollen Sammelbüchsen vom Weihnachtssingen nach Hause kamen, begrüßte Frau Kaltenbach sie mit einem ungewöhnlich neckischen Lächeln. »Ich habe eine Überraschung für euch, Kinder«, sagte sie. Sie versammelten sich vor der geschlossenen Wohnzimmertür und warteten. »Fertig, mein Liebling?«, fragte Frau Kaltenbach. Herr Kaltenbach bat noch um einen Moment Geduld, bevor er sie hereinrief.
    Die Tür flog auf. Im Zimmer war es dunkel bis auf die Kerzen, die am Weihnachtsbaum leuchteten, der geliefert und geschmückt worden war, als die Kinder beim Singen waren. Die Mädchen schnappten vor Freude nach Luft. Peter war sprachlos. Neben den traditionellen Kugeln und dem Lametta war der Baum mit Hakenkreuzen aus Plastik dekoriert. »Sind sie nicht wunderschön?«, fragte Kaltenbach. »Wurden letzten Dienstag im KaDeWe angeboten. Und waren schon nach einem Tag ausverkauft. Ich habe die letzte Schachtel ergattert.«
    Im gedämpften Licht betrachtete Peter die Geschenke unter dem Baum, alle hübsch verpackt, und überlegte, was er wohl bekommen würde.
    Die Familie versammelte sich um den großen Esstisch, der mit Kerzen, gefalteten Servietten, sorgfältig platziertem Geschirr und Besteck gedeckt war. Das war Frau Kaltenbachs Werk. Solche Aufgaben übertrug sie niemals dem Hausmädchen. Vor zwei Wochen hatten sie Elsa entlassen, das mürrische deutsche Dienstmädchen aus Neukölln. Frau Kaltenbach war überzeugt, dass sie sich an den alkoholischen Getränken in der Hausbar bedient hatte. Jetzt arbeitete Yaryna bei ihnen, eine mürrische Ukrainerin, die nur ein paar Worte Deutsch konnte. »Beide sind abscheuliche Miesepeter. Aber mit Elsa konnte man sich wenigstens verständigen.«
    Zu Peters großer Überraschung hatte Elsbeth gefragt, was man Yaryna zu Weihnachten schenken solle. Liese Kaltenbach hatte erwidert: »Wir geben ihr den Nachmittag frei. Das reicht vollkommen. Außerdem will ich nicht, dass diese griesgrämige, mondgesichtige Kreatur hier Trübsal bläst und mir das Familienweihnachten verdirbt.«
    »Vielleicht könnten wir ihr Schokolade schenken?«, schlug Elsbeth vor.
    »Man verhält sich Untermenschen gegenüber nicht freundlich«, fauchte Liese sie an. »Wenn man diesen Slawen Geschenke macht, kommen sie gleich auf die Idee, sie könnten aus deinen Schränken klauen. Wenn du erst selbst einen Haushalt führst, kannst du deine eigenen Regeln aufstellen. Aber nimm dir diesen Rat deiner Mutter zu Herzen: Bedienstete muss man wie Hunde behandeln. Man muss ihnen stets das Gefühl geben, dass man der Herr im Haus ist.«
    Elsbeth nahm die Empfehlung mit steinerner Miene zur Kenntnis, aus der sich weder Einverständnis noch Missbilligung ablesen ließ. Peter beobachtete die Szene fasziniert. Nie wusste er recht, was Elsbeth als Nächstes tun oder sagen würde.
    Nach dem Weihnachtssingen draußen in der Kälte waren Peter und die Mädchen hungrig wie die Wölfe. Die gefüllte Gans, die Bratkartoffeln, Erbsen und Pastinaken schmeckten köstlich. Die Erwachsenen tranken feinsten französischen Wein. Peter erlaubte man auch ein wenig davon. Die Mädchen durften beide daran nippen, und Charlotte verzog angeekelt das Gesicht. »Warum trinkt ihr so was? Das schmeckt ja grässlich!«
    Kaltenbach schmunzelte. »Die Franzosen würden sich glücklich schätzen, wenn sie so einen guten Wein auf dem Tisch hätten«, erklärte er ihr. Dann stand er auf und hob sein Glas. »Wir leben in einer Zeit, die über Deutschlands Zukunft für viele Jahrhunderte entscheiden wird. Am Ende dieses Krieges muss unser Sieg stehen. Also wollen wir darauf trinken, meine Lieben. Auf den Sieg im Neuen Jahr! Auf den Sieg über die Bolschewiken, und auf ein Europa, das in den Händen Adolf Hitlers gut aufgehoben ist!«
    Anschließend saßen sie beim Schein des Kohlefeuers und desWeihnachtsbaums zusammen, wo ihnen Professor Kaltenbach eine Passage aus Hitlers Mein Kampf vorlas – das Kapitel »Im Elternhaus«, in dem der Führer seine frühen Jahre beschrieb.
    Als er geendet hatte, meinte Traudl:

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