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Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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Generalgouvernements und war an Professor Kaltenbach adressiert.
    Der Professor las seine Post normalerweise nicht am Frühstückstisch, doch dieser Brief war so ungewöhnlich, dass er eine Ausnahme machte. Während er ihn las, schien er zu schrumpfen. Seine beflissene Selbstgefälligkeit sickerte davon wie Badewasser durch den Abfluss.
    »Mädchen«, ordnete er an, »geht in eure Zimmer.« Sie protestierten. »Geht. Nehmt euer Frühstück mit.«
    Peter stand auf, um ihnen zu folgen. Doch Kaltenbach packte ihn am Ärmel und stieß ihn grob zurück auf seinen Stuhl. »Du bleibst hier!«
    Als außer ihm nur noch Peter und Liese im Raum waren, begann Kaltenbach mit leiser, gefasster Stimme zu sprechen.
    »Ich habe soeben einen Brief von SS -Hauptsturmführer Fleischer vom Rasse- und Siedlungshauptamt im Generalgouvernement erhalten. Er schreibt, er habe herausgefunden, dass es in deiner Familie jüdisches Blut gibt.«
    Peter durchfuhr ein Schauder. Fleischer. Das musste LotharsVater sein. Alle HJ -Jungen hatten Fleischer schon mit ihm prahlen hören.
    »Hast du das gewusst?«
    Peter war verblüfft. Er schüttelte den Kopf und wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Heraus mit der Wahrheit«, verlangte Kaltenbach. Seine Stimme war ruhig, sein Gebaren jedoch kalt und bedrohlich.
    »Ich habe nie etwas dergleichen gehört«, brachte Peter schließlich heraus. »Wer? Wer in meiner Familie soll jüdisch sein?«
    Sie redeten beide so leise, als wäre das Thema zu peinlich, um es laut zu erörtern. Kaltenbach wedelte mit dem Brief.
    »Deine Großmutter mütterlicherseits. Das macht dich zu einem Mischling zweiten Grades.«
    »Aber sie war gläubige Katholikin«, entgegnete Peter. »In unserer Familie wurden sogar Witze darüber gemacht, wie häufig sie in die Kirche ging. Sie starb, als ich sieben oder acht war. Ich kann mich kaum an sie erinnern. Sie wurde mit allen Ehren bestattet, mit Weihrauch, einem Knabenchor, einem gewaltigen Grabstein …«
    Er stammelte weiter, während die Kaltenbachs ihn anstarrten, nach Kräften darum bemüht, ihren Ekel unter Kontrolle zu halten.
    »Die Kirchenbücher beweisen, dass sie als Jüdin geboren wurde. Daran gibt es keinen Zweifel«, sagte Kaltenbach. »Du musst es gewusst haben.«
    Peter konnte es nicht fassen. Das musste ein Trick sein, ein Vorwand, um ihn nach Polen zurückzuschicken. Oder war doch etwas Wahres daran? Schließlich hatte seine Mutter mit seinem Vater erbittert über die Art und Weise gestritten, wie nach dem Einmarsch der Nazis in Polen mit Juden umgegangen wurde.
    »Juden sind in Polen genauso unbeliebt wie in Deutschland«, erklärte Peter. »Vielleicht haben meine Eltern es aus Scham geheim gehalten?« Bei diesen Worten fühlte er sich wie ein Verräter an sich selbst, aber er musste alles versuchen, um seine Haut zu retten.
    Kaltenbach sprach seine Gedanken aus. »Wir hätten uns deine Abstammungslinie genauer ansehen sollen, als wir dich ausgesucht haben. Aber damals waren die Kirchenbücher … Ach, in den ersten Jahren der Besatzung herrschte da ein schreckliches Chaos.«
    Dann richtete er den Blick auf Peter. »Zwei Jahre lang haben wir jüdisches Blut beherbergt. Wir haben jüdisches Blut genährt, unser Badezimmer mit jüdischem Blut geteilt« – bei diesem Gedanken lief es ihm offenbar kalt über den Rücken –, »jüdisches Blut erzogen und sogar lieb gewonnen …« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Tja, ihr seid eine schlaue Rasse, das ist unbestreitbar. Goebbels hat immer geraten, euch niemals zu unterschätzen.«
    Peter versuchte ruhig zu bleiben. »Herr Professor«, sagte er, »ich glaube das nicht. Wie kommt es dann, dass ich ständig zu meinem nordischen Aussehen beglückwünscht werde? Wie kommt es, dass ich als mustergültiger arischer Abkömmling gelte? Sie selbst haben bei unserer ersten Begegnung erklärt, ich sei ein Muster an Rassereinheit. Das weiß ich noch genau.«
    »Du falsche Schlange«, sagte Kaltenbach im Flüsterton. »Wie du hinter unserem Rücken über uns gelacht haben musst. Na, das erklärt einiges. Kein Wunder, dass es uns nie gelungen ist, dir den rechten Geist anzuerziehen. Kein Wunder, dass dir diese Straßenkötermusik, der Swing, gefällt. Kein Wunder, dass du nie als Erster mit dem Deutschen Gruß grüßt – das also hat dich davon abgehalten. Du bist verdorben  …«
    Frau Kaltenbach hatte bis dahin geschwiegen. »Du bist ein Mischling , Peter. Ich hätte nie gedacht, dass du jüdische Vorfahren hast.«
    Sie

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