Ausländer
Küchentisch hatte sitzen sehen.
Kapitel zweiunddreißig
8. August 1943
Otto Reiter dachte sich nichts weiter dabei, als es an diesem Sonntagmorgen an der Tür klopfte. Auf der Schwelle stand ein Mann in langem Ledermantel und mit Lederhut, begleitet von vier Polizisten in Uniform. Der Mann war unverkennbar ein Gestapobeamter in Zivil. Es dauerte ein, zwei Sekunden, bevor Otto registrierte, dass eine Maschinenpistole auf ihn gerichtet war.
»Sie und Frau Reiter kommen mit«, befahl der Beamte. »Und ihre Tochter auch. Wir haben mit Ihnen zu reden.«
Oberst Reiter ließ sich nicht einschüchtern. »Es ist uns eine Freude, mit Ihnen zu kommen. Sie können Ihre Pistole wegstecken. Die ist wirklich nicht nötig.«
Der Mann trat einen Schritt nach vorn und schlug ihm so brutal ins Gesicht, dass er zu Boden stürzte. Als Otto ein Taschentuch hervorzog, um das Blut zu stillen, das ihm aus dem Mund lief, packten ihn die anderen Polizisten.
»So behandelt man keinen Wehrmachtsoffizier«, protestierte er. Daraufhin versetzte ihm einer der Männer einen heftigen Schlag in den Bauch.
Die Polizisten stürmten in die Wohnung. »Und wo sind Ihre Frau und Ihre Tochter?«, wollte der Gestapomann wissen. Obwohl Otto große Schmerzen litt, war sein Kopf völlig klar. Das war Gedankenlosigkeit ersten Grades. Sie hätten doch abwartenmüssen, bis alle zu Hause waren, wenn sie die ganze Familie festnehmen wollten.
»Sie sind beide in der Kirche«, stieß Otto zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»In welcher?«
»Im Dom.« Obwohl die große Kathedrale vom Tiergarten ziemlich weit entfernt war, gingen sie gewöhnlich dorthin. Ula genoss diesen Sonntagsspaziergang und liebte den schönen Kirchenraum.
»Und warum sind Sie nicht da?«, fragte der Gestapomann. Otto fasste wieder etwas Mut. »Wir Nationalsozialisten sind nicht gerade erpicht auf religiöse Zeremonien«, erklärte er.
Darauf hatte der Gestapomann keine Antwort, denn es stimmte. Aber Ula und Anna waren gar nicht in der Kirche. Sie waren zu Besuch bei den Schäfers und konnten jeden Augenblick zu Hause eintreffen.
»Sie kommen mit«, sagte der Gestapomann. Zwei der Polizisten wies er an zu bleiben und auf Annas und Ulas Rückkehr zu warten.
Man verfrachtete Otto Reiter in den Laderaum eines schwarzen Lieferwagens, der ihn in die Prinz-Albrecht-Straße bringen sollte. Auf der Fahrt dorthin wurde er völlig durchgerüttelt. Wenn sie ihn von Anfang an so behandelten, mussten sie etwas sehr Schwerwiegendes über ihn oder, schlimmer noch, über seine ganze Familie herausgefunden haben.
In seinen Gebeten bat Otto stets darum, für eine gute Sache zu sterben und nicht einfach einer der Bomben zum Opfer zu fallen, die auf die Stadt niedergingen. Nun würde er also sterben, um dadurch seine Frau und seine Tochter zu retten. Er betete, dass Ula und Anna nicht festgenommen und ins Gefängnis geworfen würden. Diese Vorstellung war unerträglich für ihn.
Doch das Glück hatte die Reiters noch nicht ganz verlassen. Ula und Anna waren schon in der Nähe ihres Hauses gewesen, da sahen sie den Polizeiwagen heranfahren und die Polizisten ins Haus gehen. Irgendetwas bewog Ula zu warten. Sie zog Anna beiseite, und die beiden versteckten sich in einiger Entfernung in einem Hauseingang. Ulas Umsicht rettete sie. Als Otto eingekeilt zwischen zwei Polizisten und mit blutverschmiertem Gesicht herauskam, wusste sie, dass sie auf das Schlimmste gefasst sein musste.
Das Telefon klingelte. Peter war allein in der kaltenbachschen Wohnung. Professor Kaltenbach war ins Institut gegangen, um irgendwelche Akten zu holen, Elsbeth war in der Kirche, und die anderen besuchten Verwandte von Liese. Peter war nicht gefragt worden, ob er sie begleiten wolle.
Er nahm den Hörer ab und hörte eine Stimme sagen: »Ruf heute Nachmittag Wolfi an.« Es war Anna. Dann war die Leitung stumm.
Peter wurde von Panik erfasst. Ihm wurde ganz übel vor Angst. Das Gefühl erinnerte ihn an den grauenhaften Augenblick, in dem er das zertrümmerte, blutverschmierte Auto seiner Eltern gesehen hatte. Er zwang sich, in die Küche zu gehen und sich einen Kaffee zu kochen. Tief durchzuatmen. Nachzudenken.
Was sollte er tun? Er war fürchterlich unentschlossen. Sollte er warten, bis er Anna anrufen und fragen konnte, was passiert war, oder sollte er einfach losgehen? Hatte jemand sie verraten? Warum hatte sie ihm am Telefon nicht mehr gesagt?
Ein Geräusch an der Tür. Jetzt kamen sie ihn holen.
Doch es war
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