Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausländer

Ausländer

Titel: Ausländer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
Vom Netzwerk:
verwahrloster, dunkelhaariger junger Mann von etwa achtzehn Jahren vor ihm. Er hatte so laut geklopft, dass auch Frau Brenner in den Hausflur getreten war. Mit verschränkten Armen stand sie da und nickte Otto barsch zu. »Ihr Gast kann es ja kaum erwarten, Sie zu sehen«, sagte sie und schloss die Tür wieder.
    »Ich komme zum Musikunterricht«, sagte der junge Mann.
    »Sie müssen sich in der Adresse geirrt haben, hier unterrichtet niemand Musik«, erwiderte Otto.
    »Bitte lassen Sie mich einen Augenblick herein«, bat er. Er wirkte verzweifelt.
    Ula trat an die Tür. »Lass den Jungen rein, Otto.«
    Die drei standen im Flur, Anna und Peter hörten aus dem Wohnzimmer mit.
    »Ich glaube, zwei Gestapoleute sind mir auf den Fersen«, flüsterte der Junge.
    »Das geht uns nichts an«, entgegnete Otto ohne Umschweife. »Sag mir lieber mal, warum ich dich nicht selbst festnehmen und der Gestapo übergeben sollte?«
    »Ich habe den letzten Monat auf der Straße gelebt. Die Familie, die mich versteckt hatte, hat mich rausgeworfen.«
    »Das geht uns ebenso wenig an«, erklärte Otto. »Und warum meinst du, wir könnten etwas für dich tun?«
    »Ich habe gehört, Sie helfen Leuten wie mir«, antwortete er.
    »Und wer hat dir das erzählt?«, fuhr Otto ihn ärgerlich an.
    Der Junge schüttelte den Kopf.
    Otto packte ihn am Arm und öffnete die Tür. »Raus!«, war alles, was er sagte, bevor er die Tür heftig ins Schloss warf.
    Ula war schockiert und wollte die Tür wieder aufmachen. Er hielt sie zurück. »Otto, wie konntest du so etwas tun?«
    Otto ging zurück ins Wohnzimmer. Peter und Anna sahen ihn erstaunt an. Allen hatte es die Sprache verschlagen.
    »Wie hat er von uns erfahren?«, fragte Otto schließlich. »Woher wusste er, dass er hierherkommen konnte?«
    Jetzt war Ula wütend. »Wie konntest du ihn einfach so davonjagen?«
    Otto schenkte ihr keine Beachtung. »Ich glaube ihm nicht, dass er einen Monat auf der Straße gelebt hat. Gerochen hat er jedenfalls nicht so. Er hat überhaupt nicht gestunken. Ich glaube, er ist ein Greifer. Und wenn er von uns weiß, dann weiß auch die Gestapo von uns.«
    »Was ist ein Greifer?«, wollte Peter wissen.
    Angewidert schüttelte Otto den Kopf. »Es gibt Juden, die von der Gestapo festgenommen wurden. Um ihr Leben zu retten, locken sie andere Juden und ihre Helfer in die Falle. Ich konnte es nicht glauben, als ich in der Bendlerstraße davon erfahren habe, aber manche Leute sind zu allem bereit, um zu überleben.«
    »Was sollen wir jetzt tun?«, fragte Ula.
    »Wir werden uns weiter unauffällig verhalten und gar nichts unternehmen. Sie haben ihn wahrscheinlich geschickt, um uns zu überführen. Das heißt, sie haben keine stichhaltigen Beweise. Aber irgendwo hat irgendjemand geplaudert …«
    »Aber wenn er nun wirklich ein Jude auf der Flucht ist?«, hielt Anna ihm entgegen.
    »Das wäre besser für uns, wenn auch nicht für ihn«, sagte Otto. Er sprach auch unangenehme Wahrheiten so aus, dass sie nüchtern und sachlich klangen. Das war der Soldat in ihm. »Wir werden es nie erfahren. Jedenfalls können wir keine Fremden aufnehmen. Das bringt uns nur in Schwierigkeiten.«
    »Wir haben uns doch nicht verraten, oder?«, fragte Ula. »Wir haben nichts gesagt, was man uns anlasten kann. Und was war das überhaupt für ein Unfug mit dem Musikunterricht?«
    Otto zuckte die Achseln. »Vielleicht sagt er das, wenn andere Leute zugegen sind. Frau Brenner stand ja direkt hinter ihm. Vielleicht schätzt er auf diese Weise schon auf der Türschwelle die Leute ein. Er kann ja schlecht sagen ›Ich bin ein Jude auf der Flucht‹. Jedenfalls werden wir die Lieferungen für eine Weile einstellen müssen. Ich werde mit Schäfer reden, vielleicht kann jemand anderes einspringen …«
    Später am Abend schrak Frau Weber auf, als es eindringlich an der Tür klopfte. Hastig öffnete sie. Draußen stand ein verwahrloster, dunkelhaariger junger Mann. »Ich komme zu meiner Musikstunde«, sagte er.
    Sie erkannte ihn sofort als Juden. Dieses Talent hatte sie in den zwei Jahren erworben, in denen sie U-Booten geholfen hatte.
    »Komm rein«, sagte sie. »Wo hast du dich die ganze Zeit versteckt?«

Kapitel einunddreißig
    22. Juli 1943
    In dieser Nacht schlief Peter schlecht. Der Vorfall mit dem Jungen an der Tür hatte ihn beunruhigt. Am nächsten Morgen fühlte er sich vollkommen kraftlos und kaum in der Lage, auf das Schreiben zu reagieren, das bei den Kaltenbachs eintraf. Es trug den Stempel des

Weitere Kostenlose Bücher