Ausländer
stieß und ihr Foto sah?
Inzwischen war eine Stunde vergangen. Der Polizist begann sich zu langweilen. Sie fragte sich, ob er wohl nur so lange geblieben war, um sich mit ihr zu unterhalten. Doch ein Ass hatte sie noch im Ärmel. »Nun, mein Herr, ich muss jetzt leider weg«, erklärte sie. »Sie werden verstehen, dass ich keinen Fremden allein in der Wohnung lassen kann.« Dieses Mal lächelte sie.
Elsbeth hatte Glück. Der Gestapomann hatte seinen Kollegen zuvor angewiesen, höchstens ein, zwei Stunden zu warten. Wenn der Junge bis dahin nicht zurück sei, könnte man später wiederkommen.
»Natürlich, mein Fräulein«, sagte er und erhob sich ebenfalls.
Zusammen gingen sie die Treppe hinunter. Elsbeth musste sich auf die Unterlippe beißen, um ihre Erleichterung zu verbergen. Als die beiden vor der Haustür standen, verbeugte der Polizist sich übertrieben galant und tippte sich an den Hut.
»Wie charmant«, sagte Elsbeth in einem Anfall von Albernheit und schenkte ihm ein weiteres Lächeln. Sie fand, dass er eigentlich recht nett aussah. Vielleicht hätte sie ihn freundlicher behandeln sollen. Dann trennten sich ihre Wege, und sobald er die nächste Ecke erreicht hatte, machte sie kehrt und hastete zurück zur Wohnung.
Peter wartete in seinem Zimmer. »Danke«, sagte er. »Du warst sehr tapfer. Ich bin dir dankbar.«
Elsbeth nickte. »Warum sind sie hinter dir her?« Sie klang beunruhigt.
Peter setzte alles auf eine Karte und wagte es, ihr etwas mehr zu erzählen. »Sie glauben, ich hätte U-Booten geholfen.«
Sie nickte wieder. »Ich würde an deiner Stelle nicht meinen Kopf riskieren, indem ich Juden helfe. Sie würden dir auch nicht helfen«, erklärte sie rundheraus. »Die Gestapo wird bald wiederkommen. Was wirst du tun?«
Peter sah aus, als wäre er der Panik nahe. »Keine Ahnung.« Doch in Wahrheit wollte er es ihr nur nicht verraten. Elsbeth war trotz allem voller Nazigift. In dem einen Moment half sie ihm, und gleich darauf gab sie Unsinn über die Juden von sich.
»Ich muss fort«, sagte er. »Kannst du mir ein wenig Geld leihen? Bloß ein paar Mark, für die U-Bahn?«
Sie nahm 25 Reichsmark aus ihrer Geldbörse – einen halben Wochenlohn. »Nimm auch was zu essen mit«, sagte sie. »Und beeil dich! Vater kann jede Minute hier sein.«
Peter war so überrascht über ihre Großzügigkeit, dass er sie spontan umarmte. Sie stand wie versteinert da. Rasch ließ er sie wieder los. »Danke. Ich gebe es dir zurück, sobald ich kann«, versprach er.
Schnell packte er eine zweite Garnitur Kleidung und einen Mantel in eine Tasche. Außerdem holte er sich einen Laib Brot, Würste und Käse aus der Speisekammer. Nachdem er seine Luftschutz-Uniform angezogen hatte, war er startklar. Elsbeth stand an der Tür und sah ihm zu. »Ich werde ihnen sagen, du bist auf Posten bei der Feuerbeobachtung und bleibst vielleicht über Nacht dort …«
»Danke, Elsbeth«, erwiderte Peter. »Ich wünschte, wir wären bessere Freunde geworden.«
»Werd nicht sentimental«, entgegnete sie und küsste ihn schnell auf die Wange. »Und jetzt Beeilung. Geh!«
Auf der Treppe begegnete ihm Professor Kaltenbach. »Guten Tag, Onkel«, sagte er. »Ich muss zum Luftschutz.«
Kaltenbach wedelte nur mit seiner Zeitung. Wenn ich dich jemals wiedersehe , dachte Peter, dann bin ich kurz darauf bestimmt tot .
Kapitel dreiunddreißig
Sobald er sich in sicherer Entfernung von der Wohnung wähnte, setzte Peter sich erst mal in ein Café, um seine Gedanken zu sammeln. Dann ging er durch den Tiergarten zum Brandenburger Tor. Dadurch schlug er eine gute halbe Stunde tot. Als er es Mittag schlagen hörte, hielt er es nicht länger aus und wählte in einer Telefonzelle die Notfallnummer in Kreuzberg, die Anna ihm gegeben hatte. »Hallo«, sagte er. »Ist Wolfi da?«
Er hörte die Erleichterung in ihrer Stimme. »Nein«, erwiderte sie. »Er ist auf dem Hackeschen Markt einkaufen.«
Wenn er sich beeilte, konnte er in zwanzig Minuten dort sein.
Auf dem überfüllten Markt wartete er zehn Minuten, da tauchte Anna auf. Peter wandte sich ihr sofort zu und wollte sie küssen.
»Nein, nein«, sagte Anna abwehrend. »Geh einfach nur hinter mir her. Bleib in meiner Nähe, lauf in die gleiche Richtung. Es könnte sein, dass wir beobachtet werden. Bist du sicher, dass dir niemand gefolgt ist?«, fragte sie und wirkte sehr geschäftsmäßig. »Gut. Vati ist verhaftet worden. Später mehr dazu. Bleib einfach hinter mir.«
Sie nahmen die S-Bahn
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