Ausradiert: Thriller (German Edition)
ihm. »Alles in Ordnung?«
»Aber ja«, sagte Petrov. »Mach dir keine Gedanken um mich. Kathleen, ich habe nachgedacht.« Eigentlich nicht, tatsächlich begann er erst in diesem Moment nachzudenken. »Setz dich.«
»Wie bitte?«
»Bitte. Oder bleib stehen, egal. Der Punkt ist …« Er spürte, wie sein Verstand von einer warmen, segensreichen Flut überspült wurde. »Der Punkt ist, dass ich begonnen habe, ein paar Dinge zu verstehen.«
In diesem Moment öffnete sich die Schiebetür zur Terrasse, und ein Mann, ebenfalls im weißseidenen Morgenmantel, vor den eine Schürze gebunden war, betrat die Küche, trug gegrillten Lachs auf einem Tablett, perfekt gegrillt, wie Petrov an den parallelen Streifen des Rosts auf dem rosa Fleisch erkennen konnte. Mann war selbstverständlich die falsche Bezeichnung; es war dieser Softwaretyp, Randy, Kathleens Ehemann. Irgendwie hatte Petrov ihn total vergessen, sein Erinnerungsvermögen, stets zuverlässig, spielte ihm einen üblen Streich. Der Softwaretyp, Randy, Kathleens Ehemann, blieb wie angewurzelt stehen, Limonenschnitze waren säuberlich um den Lachs arrangiert, er starrte Petrov an.
»Kathleen!«, sagte er.
Petrov fiel auf, dass er Randys Stimme nie gemocht hatte. Diese Stimme hatte etwas Fischweibiges.
»Hi, Randy«, sagte er. »Der Lachs sieht gut aus.«
»Äh, danke.«
»Du fragst dich wahrscheinlich, was zum Teufel ich hier mache?«
»Nun, es ist –«
»Ich bin reingeplatzt«, sagte Petrov. »In der Hoffnung auf ein kurzes Gespräch mit Kathleen.«
Randy sah Kathleen an; Kathleen sah Randy an.
Petrov sah nichts zwischen ihnen hin- und hergehen, nichts außer Verwirrung, vielleicht beginnende Besorgnis. Er nahm das als Anzeichen für eine Schwäche in ihrer Beziehung.
Kathleen wandte sich ihm zu, ihre Stirn war in zwei Flächen geteilt, horizontal und vertikal; die vertikale Komponente – zwei parallele Furchen zwischen ihren Augenbrauen, ungefähr einen Zentimeter lang – war neu. »Hast du getrunken?«, fragte sie.
»Nein.«
»Du benimmst dich so merkwürdig«, sagte sie.
»Er ist von irgendwas stoned«, sagte Randy.
Alles an ihm war daneben: die Einschätzung der Tatsachen, der Fischweibklang seiner Stimme, seine raschen falschen Urteile, das Sprechen über einen Anwesenden in der dritten Person. Petrov starrte ihn an, durchschaute ihn bis ins Mark, und in diesem Mark, auf dem Fundament von Randys Dasein, lag die Angst vor Gewalt, davor, zu Schaden zu kommen. Er hob das Tablett ein wenig höher, wie einen Schild.
»Ich bin völlig nüchtern, Randy«, sagte Petrov. »Wenn du mich einfach kurz mit Kathleen allein lassen würdest. Kat, wie ich sie früher genannt habe und –« Er hätte beinah hinzugefügt und wie ich es wieder zu tun hoffe, zensierte sich aber aus taktischen Gründen.
Randy leckte sich die Lippen. Eine unattraktive Zunge: Wo hatte sie Kathleen schon berührt? »Geht es um Dmitri?«
»Indirekt.«
Kathleen und Randy wechselten einen weiteren Blick. Diesmal schienen sie sich auf etwas zu verständigen. Randy stellte das Tablett auf den Tresen. »Ich backe die Croissants auf«, sagte er, zog ein quadratisches Stück Alufolie aus der Schürzentasche. Er ging durch die Schiebetür hinaus, schloss sie bis auf einen ungefähr vier Zentimeter breiten Spalt.
Kathleen fragte: »Worum geht es?«
Petrovs Blick wurde von ihrem Hals angezogen, besonders von der schön gerundeten Mulde am Ansatz, die von zwei zart wirkenden Sehnen eingerahmt wurde. »Ihr esst Brunch?«
»Natürlich«, sagte Kathleen. »Wonach sieht es denn sonst aus?«
Er hatte es nicht bemerkt.
»Können wir uns setzen? Einen Moment reden?« Petrov ging zum Tisch, setzte sich auf einen Stuhl vor eins der Gedecke.
»Worüber?«, fragte sie, trat zum Tisch, setzte sich zögernd ihm gegenüber. Das Weiß ihrer Augen, der seidene Morgenmantel, der ganze Raum: alles so weiß, abgesehen vom Orangensaft. Unvermittelt sehr durstig, griff Petrov sich eins der Gläser und trank es aus. Kathleens Augen wurden schmal, während sie ihn beobachtete; möglicherweise kniff sie sie gegen das messingartige Sonnenlicht von draußen zusammen. Ja, sie hatte heute mehr Falten im Gesicht, nicht nur das neue vertikale Paar zwischen ihren Augen; aber er könnte sich daran gewöhnen, hatte sich vielleicht schon daran gewöhnt.
»Wo soll ich anfangen?«, sagte er.
»Womit anfangen?«
Über ihre Schulter hinweg sah er Randy am Grill, der, die Zange in der Hand, zu ihnen herübersah. Petrov
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