Ausradiert: Thriller (German Edition)
erreichte die nächste Straße, las das Schild, dessen grüne Farbe von der Sonne ausgebleicht war und abblätterte: Coursin.
Petrov bog links ab und erkannte sofort, dass er sich in Reasoners Block befand. Die Bäume, Eukalyptus, gelb von toten Blättern, und ein paar staubige Palmen, hätten nach zwölf Jahren eigentlich größer sein müssen, waren es aber nicht. Wenn überhaupt, waren sie geschrumpft. Die Häuser wirkten unverändert, als besäße niemand genug Geld oder Energie für eine einzige Renovierung – alle außer Nummer 313, Gerald Reasoners altes Haus, einst gelb mit roten Rahmen, heute weiß und aquamarinblau. Petrov stieg aus dem Auto. Die Hitze wirkte sofort auf den centgroßen Schmerz, zündete eine kleine Bombe in seinem Kopf.
Petrov ging über den Rasen, der einst Gerald Reasoner gehört hatte, an der Seite seines alten Hauses entlang in den Garten; einen kleinen Garten mit zwei Liegestühlen und einem Planschbecken, auf dessen Oberfläche ein Plastikfrosch trieb. Der Rasen war gelb und verdorrt, vielleicht wegen der Wasserknappheit; vielleicht hatte sich die Gemeinde aber auch die Neuanlage des Rasens gespart. Petrov erinnerte sich, was die Spurensicherung unter der Oberfläche gefunden hatte.
Der hohe Holzzaun am Ende des Gartens war durch Maschendraht ersetzt worden, nicht hoch. Petrov hätte mühelos darüberklettern müssen, aber aus irgendeinem Grund schaffte er es kaum.
Petrov rappelte sich auf der anderen Seite hoch, durchquerte den Garten des Hauses gegenüber Reasoners Rückseite, einen Garten ohne jeden Rasen, nur hohes Unkraut mit glänzenden spatelförmigen Blättern, das sich in den Boden krallte. Er roch Tee, schwach und gezuckert, und in ihm stieg eine weitere Erinnerung aus der Zeit vor der Erinnerung auf: der Samowar auf dem Beistelltisch, glitzerndes Silber, und der Rubinring seiner Mutter, der mit einem klickenden Geräusch gegen den verzierten Deckel stieß.
Der Teeduft folgte ihm, als er sich der Rückseite des Hauses näherte, ein stuckverziertes Haus mit einem langen, diagonalen Erdbebenriss in der Mauer und einer Tür, in deren Fensteröffnung eine Sperrholzfüllung saß. Er ging außen herum, sah, dass das Haus an der Rosetta Street stand, und kontrollierte die Nummer am Türrahmen, um sich zu vergewissern: 1491. 1491 Rosetta Street und 313 Coursin Street – Rui Estrellas Haus, zumindest war es so in seinem Führerschein angegeben, und Gerald Reasoners altes Haus standen Rücken an Rücken.
Was bedeutete das? Petrov hatte keine Ahnung. Er lauschte auf ein Geräusch aus der 1491, hörte nichts, nicht einmal das Summen einer Klimaanlage oder eines Kühlschranks. Die vorhanglosen Souterrainfenster waren bis zur Undurchsichtigkeit verstaubt. Er ging zurück durch den Garten, kletterte diesmal ohne Schwierigkeiten über den Zaun, irgendwie belebt durch den Teeduft in der Luft, umkreiste die 313 und klopfte an die Haustür.
Sie öffnete sich. Der Teeduft verschwand, einfach so, so rasch, dass es ihn ängstigte, und wenn es nicht daran lag, war er aus einem anderen Grund verängstigt. Ein kleines Mädchen, vielleicht vier oder fünf Jahre alt, schaute heraus. Sie trug Unterhosen und eine Socke, auf ihrem Rücken hing ein funkelnder, spitz zulaufender Partyhut.
»Ich hab ein Aua«, sagte sie und streckte ihre rechte Hand aus. Um das erste Gelenk ihres Zeigefingers war ein Pflaster geklebt.
»Wer ist das auf dem Pflaster?«, fragte Petrov.
Sie kicherte. »Goofy, du Dummie.«
Petrov starrte Goofy an. Eine Stimme, die wie seine klang, sagte: »Hast du dich schon mal gefragt, warum Goofy sprechen kann und Pluto nicht?« Die Bemerkung musste von ihm stammen, aber sie verwirrte ihn, bis ihm klarwurde, dass es sich um Hunde aus demselben Comic handelte.
Das kleine Mädchen starrte hinunter auf seine nackten Füße – mit grün lackierten Zehennägeln – und trippelte auf der Stelle. »Äh«, sagte es.
Er rieb sich die Stirn, begann noch einmal. »Ich heiße Nick. Und du?«
»Cassie. Der allerliebste Lieblingsname von meiner Mami.«
»Ist sie da?«
Das kleine Mädchen schüttelte den Kopf. »Das ist eine Abkürzung für Cassandra.«
»Was ist mit deinem Daddy?«
»Daddy wohnt weit weg.«
»Wo ist deine Mami?«
»Arbeiten. Sie arbeitet bei Nordstrom.«
»Wer passt auf dich auf?«
»In der Buchhaltung. Mami ist geprüfte Buchhalterin.«
»Aber wer ist jetzt bei dir zu Hause?«
Cassie trippelte wieder auf der Stelle. »Wenn Mami nicht zu Hause ist, mache
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