Ausradiert: Thriller (German Edition)
kleiner, aber viel hübscher – und wesentlich gepflegter – als das Haus, in dem er und Kathleen in Santa Monica gewohnt hatten, in dem Kathleen, als sie eines Tages, eines Tages im Juni, zwischen den Morden an Tiffany LeVasseur und Nicolette Levy im Fall Reasoner, wegen Krankheit früher von der Arbeit nach Hause gekommen war und ihn und Elaine überrascht hatte; die Art von Situation, die bei europäischen Filmen immer für einen Lacher gut war.
Die Haustür öffnete sich. Heraus trat sein Sohn, die MP3-Kopfhörer eingestöpselt. Dmitri – in Shorts, T-Shirt, Baseballkappe, Turnschuhen – sprang auf ein Skateboard und flog die gewundene Ziegeltreppe hinunter. Diese Gefahr, dieser Leichtsinn: Dmitri überflog die letzten drei Stufen, setzte krachend auf dem Bürgersteig auf und kam schliddernd zum Stehen.
Petrov stieg aus. »Dmitri.«
Dmitri drehte sich um. »Was machst du denn hier?«, fragte er, drehte die Lautstärke herunter, ließ die Ohrstöpsel aber drin.
»Dachte, ich schau mal vorbei«, sagte Petrov.
Dmitri starrte ihn an.
Petrov lächelte. »Ich bin einfach nur so vorbeigekommen, ich hab gar nicht drüber nachgedacht.«
»Ich hab heute ziemlich viel vor.«
»Skateboard fahren?«, fragte Petrov, meinte es als Witz, aber was war daran komisch? Hatte es falsch geklungen, sarkastisch, verächtlich?
Er dachte noch immer darüber nach, wie er es wieder einrenken konnte, als Dmitri erwiderte: »Klar, Skateboard fahren.«
Petrov wusste, dass er Kein Problem, ich hab ja nicht angekündigt, dass ich kommen würde oder so etwas sagen sollte. Wie schön, ihn zu sehen, wie gut er aussah, sein Gesicht veränderte sich, Kiefer und Nase wurden kräftiger, jemand, den die Welt eines Tages ernst nehmen würde. Petrov versuchte das in Worte zu fassen, seine dumme Bemerkung vergessen zu machen. Er sagte: »Wie läuft’s beim Fußball?«
»Ich hab aufgehört.«
»Du hast die Mannschaft verlassen?«
»Ich hab dir doch erzählt, dass ich das wollte.«
Petrov dachte an ihr letztes Gespräch vor zwei Wochen, vielleicht ein wenig länger; ihre gemeinsam verbrachte Zeit war jetzt nicht mehr so fest geregelt. Petrov hatte Dmitri mit in die Sporthalle genommen, da er, fälschlich, annahm, ein gemeinsames Fitnesstraining würde ihm Spaß machen. »Das hast du nicht gesagt, Dmitri. Du hast mich gefragt, was ich von der Idee hielte, mit Fußball aufzuhören, und ich riet dir, dir mehr Zeit zu lassen.«
»Wie auch immer«, sagte Dmitri.
»Du hast immer gern Fußball gespielt.«
»Wie kommst du auf die Idee?«
»Und aufgeben ist immer der falsche Weg«, sagte Petrov. Da hatten sie es, sie stritten sich, das war keinesfalls seine Absicht gewesen. Aber Dmitri musste etwas begreifen. »Verbau dir keine Möglichkeiten.«
»Danke für den Tipp«, erwiderte Dmitri. »Ich muss los.«
»Tipp? Das ist kein verdammter Tipp. Ich will nur –«
»Tschüss.« Dmitri stieß sich ab und glitt rasch davon.
»Dmitri!«
Um die Ecke und außer Sicht; vorgebeugt, perfekt im Gleichgewicht, kein Blick zurück.
Steig in den Wagen. Los. Petrovs erster Gedanke, der von einem stärkeren verdrängt wurde. Stattdessen stieg er die Treppe hinauf, pflückte eine Blume aus einem der Töpfe auf dem Absatz. Er klopfte an die Tür, nur leicht. In der Nähe klingelte ein Windspiel.
Die Tür öffnete sich, und Kathleen stand vor ihm. Sie hatte ihre Haare hochgesteckt, trug einen weißseidenen Morgenmantel, sah toll aus. »Nick?«, sagte sie. »Was machst du denn hier?«
»Hallo«, sagte er.
»Aber heute ist doch gar nicht dein Tag.«
Petrov streckte ihr die Blume entgegen. Sie betrachtete sie verständnislos; er wusste auch nicht genau, was er damit bezweckte.
»Ich weiß, Kat«, sagte er. Er hatte sie seit zwölf Jahren nicht mehr Kat genannt. Plus zwei Monate. »Darf ich reinkommen?«
»Dmitri ist bei einem Freund.«
»Ich habe ihn getroffen«, erwiderte Petrov. »Er hat mit Fußball aufgehört.«
»Seine Entscheidung.«
»Aber hättest du nicht –« Er riss sich zusammen. »Ich will nicht lange bleiben.«
»Ich verstehe nicht.«
»Wir sollten reden.«
»Worüber?«
»Die Zukunft.« Er schob sich an ihr vorbei, kein Schieben, eher respektvolles Umgehen.
»Musst du mal ins Bad oder was?«, fragte sie. »Was ist denn los?«
»Nein danke«, sagte Petrov. »Mir geht’s gut.«
Er ging in die Küche. War sie schon immer so weiß gewesen? Komplett weiß, abgesehen von den beiden Gläsern Orangensaft auf dem Tisch.
Sie folgte
Weitere Kostenlose Bücher