Ausser Dienst - Eine Bilanz
Versprechens doch allein in meinem eigenen Gewissen.
Im weiteren Nachdenken über den Amtseid bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß der Eid als solcher – gleichgültig ob mit oder ob ohne die Formel »So wahr mir Gott helfe« –eigentlich nur ein feierlicher Zauber ist, vor Jahrhunderten entstanden und über Jahrhunderte beibehalten. Im Kern handelte es sich immer um ein feierliches Versprechen gegenüber dem Thing, der Ratsversammlung oder dem Parlament, gegenüber dem Richter oder dem König. Unser Rechtssystem kennt den Meineid als speziellen Fall einer absichtlichen Falschaussage vor Gericht, er wird besonders bestraft. Andere Fälle der Verletzung eines beeideten Versprechens werden hingegen nicht bestraft; wenn zum Beispiel das Verfassungsgericht ein vom Bundestag bona fide – mit gutem Gewissen – beschlossenes Gesetz oder einen Teil davon als grundgesetzwidrig verwirft, wird niemand bestraft.
Die Regierenden beschwören die Einhaltung des Grundgesetzes; aber jedes Jahr gibt es viele Fälle, in denen es streitig ist, ob ein Handeln der Regierung verfassungskonform oder verfassungswidrig ist. Die Richter selbst sind oft genug nicht einig darüber, und weder der Amtseid der Regierenden noch der Amtseid der Richter kann und soll etwas daran ändern. So reduziert sich der Amtseid auf eine Warnung an das eigene Gewissen vor leichtfertig oder gar vorsätzlich pflichtwidrigem Handeln. Auch der religiöse Zusatz ändert daran nichts.
Wohl aber bezeugt der Zusatz öffentlich: Ich, der Schwörende, glaube an Gott. Aber was alles ist im Laufe von Jahrhunderten im Namen des christlichen Gottes an Kriegen und Verbrechen verübt worden! Die Liste reicht von den blutigen Kreuzzügen zu den Borgia-Päpsten, von den ungezählten Ketzerund Hexenverbrennungen bis zu den Eroberungskriegen. 1914 standen auf den Koppelschlössern der deutschen Soldaten die Worte »Gott mit uns«; damals war natürlich der christliche Gott gemeint, und der Pastor hatte die Regimentsfahne geweiht. Heute ist es durchaus möglich, daß der Schwörende den Gott der Thora oder den Gott des Koran meint. Allerdings halte ich heute sowohl den Schwur an sich als auch die zusätzliche Anrufung Gottes für eine zweifelhafte Einrichtung.
Gleichwohl ist es mir immer selbstverständlich gewesen, den Eid mitsamt der religiösen Zusatzformel zu leisten. Ich wußte immer, die Mehrheit unserer Bürger glaubt, daß es Gott gibt, und sie erwartet meine Anrufung Gottes. Es war für mich gänzlich unproblematisch, dieser Erwartung zu entsprechen. Allerdings hätte ich auch ohne die religiöse Zusatzformel mein Gewissen immer genauso angestrengt, mein Versprechen einzuhalten, das ich in Gestalt des Amtseides gegeben habe. Der Amtseid ist die einzige Erwähnung Gottes in den Artikeln des Grundgesetzes – aber das Grundgesetz sagt ausdrücklich: »Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden.« Ob Amtseid oder Eid des Zeugen vor Gericht, jedenfalls muß jeder im eigenen Gewissen entscheiden, ob er mit oder ohne Gott schwören will. Ich hatte keinerlei Gewissenszweifel, den Amtseid unter Anrufung Gottes zu schwören; jedoch bezweifle ich, daß Martin Luther oder der Vatikan mich als Christen anerkennen würden.
Toleranz zwischen den Weltreligionen
Über das Gewissen gibt es verschiedene theologische und philosophische Meinungen. Das Wort kommt schon bei den Griechen und Römern vor. Später haben Paulus und die christlichen Theologen damit das Bewußtsein des Menschen von Gott und der von ihm gewollten Ordnung umschrieben; jede Verletzung dieser Ordnung war ihnen eine Versündigung an Gott. Bis heute unterscheiden wir zwischen dem »guten« und dem »schlechten« Gewissen. Manche Christen sprechen von der »Stimme Gottes im Menschen«. Bei meinem Freund Richard Schröder las ich, unser Verständnis des Gewissens sei aus der Begegnung des biblischen Denkens mit der Welt des Hellenismus hervorgegangen.
Immanuel Kant hat ein Leben lang über die Grundwerte des Gewissens nachgedacht, ohne daß die Religion dabei eine Rolle spielte. Für ihn war das Gewissen »das Bewußtsein eines inneren Gerichtshofes im Menschen«. Ob man das Gewissen aus der Vernunft des Menschen herleitet oder ob von Gott: An der Tatsache, daß es ein menschliches Gewissen gibt, besteht jedenfalls wenig Zweifel. Ob einer Christ oder Muslim oder Jude ist, ob er Agnostiker oder Freidenker ist – der erwachsene Mensch hat ein Gewissen. Allerdings kann der Mensch gegen sein
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