Ausser Dienst - Eine Bilanz
gewissenhafte Menschen gegeben, die um des Friedens willen für Verständigung und Kompromiß eintraten. So habe ich in seinen späten Jahren Moshe Dayan erlebt, so war ich von Yitzhak Rabins Friedenswillen überzeugt. Über den regionalen Konflikt hinaus gab es einige Weitsichtige, die für einen weltweiten Frieden zwischen den Religionen eingetreten sind. Anwar as-Sadat war der erste, der mich, lange bevor das Schlagwort Mitte der neunziger Jahre durch Samuel Huntington eingeführt wurde, auf die Gefahr eines weltweiten religiös-kulturellen Zusammenstoßes hingewiesen hat.
Wir waren bereits befreundet, als ich 1977 einen offiziellen Besuch in Ägypten machte. Als sei es gestern gewesen, so gut erinnere ich unsere gemeinsame Fahrt den Nil aufwärts nach Assuan. Es war eine sternenklare Nacht, wir saßen auf dem Oberdeck. Und während wir die Sterne am Himmel betrachteten, erklärte Sadat mir die gemeinsame Herkunft der drei großen monotheistischen Religionen. Er sprach von Noah, von Abraham und seinen beiden Söhnen Isaak und Ismael, von Moses und von den jüdischen Propheten des Alten Testamentes – ich hatte bis dahin nicht gewußt, daß sie fast alle auch im Koran vorkommen. So lernte ich, daß Jesus auch im Koran von Gott auf die Erde gesandt worden ist. Sadat erklärte mir, daß der Koran Christen und Juden als »Völker der Schrift« mit Hochachtung behandelt und unter Schutz gestellt hat; zwar sind sie Ungläubige, aber sie besitzen die Schrift, und die haben sie von Gott. Sadat wußte von den übereinstimmenden moralischen Geboten und vom gemeinsamen Friedensgebot, zum Beispiel in den Psalmen des jüdischen Alten Testamentes, in der christlichen Bergpredigt oder in der vierten Sure des muslimischen Korans.
Am nächsten Tage habe ich mir Notizen über Sadats Ausführungen gemacht. Später habe ich in Gesprächen mit Menschen aus allen drei Religionen alles bestätigt gefunden, was mir mein Freund erzählt hatte (die einzige Ausnahme war seine als persönliche Vermutung ausgesprochene Spekulation über eine Verbindung zwischen Moses und dem ägyptischen Pharao Echnaton, der um 1340 vor Christus den vergeblichen Versuch gemacht hatte, die Vielzahl der ägyptischen Götter durch Aton als einzigen Gott zu ersetzen).
Auf das stärkste hat mich Sadats Überzeugung beeindruckt, daß Frieden zwischen Juden, Christen und Muslimen möglich sei, wenn sie nur endlich begriffen, daß ihre Religionen aus der gleichen Wurzel stammen. Wenn sie nur endlich ihre vielen Gemeinsamkeiten erkennten, dann müsse es gelingen, zwischen ihnen Frieden zu stiften und zu halten. Sadat war General, ein Berufssoldat, der an allen Kriegen zwischen Arabern und Israelis teilgenommen hatte. Schon seit einigen Jahren war er mit dem Gedanken umgegangen, den ehemaligen Feind in seiner Hauptstadt Jerusalem aufzusuchen, um ein Zeichen zu setzen. Wir haben darüber mehrfach ausführlich gesprochen.Als es im November 1977 tatsächlich dazu kam, war ihm lange schon klar, welche politischen Risiken er damit auf sich nahm. Er wußte auch, daß er sein Leben riskierte. Weil er trotzdem seinem Gewissen folgte, war er unter allen Staatslenkern, denen ich begegnet bin, derjenige, der den stärksten Eindruck bei mir hinterlassen hat. Sein gewaltsamer Tod im Oktober 1981 hat mich tief getroffen.
Meine Gespräche mit Sadat haben dazu geführt, daß ich mich für den Islam näher zu interessieren begann und mich um vertiefende Kenntnisse und Einsichten bemühte. So lernte ich, daß es im europäischen Mittelalter mehrere Epochen gab, in denen Toleranz zwischen den drei Religionen Abrahams vorherrschte. Mir steht der Staufer Friedrich II. vor Augen, der das Reich von Unteritalien aus regierte. In seinen »Konstitutionen von Melfi« hat er Christen, Muslime und Juden gleichgestellt. Sowohl unter christlicher Ägide am Hofe Friedrichs II. als auch unter muslimischer Ägide in Bagdad und Cordoba haben jüdische, christliche und muslimische Gelehrte sich gemeinsam größte Verdienste um die Grundlegung der europäischen Wissenschaften erworben. Das gilt von der Mathematik über die Medizin bis zur Philosophie. Maimonides, geboren 1135 in Cordoba und gestorben siebzig Jahre später in Kairo, der als Arzt den muslimischen Herrschern diente, wurde für Jahrhunderte zum herausragenden jüdischen Lehrer. Avicenna (Ibn Sina), geboren um 980 im heutigen Usbekistan, und Averroes (Ibn Rušd), geboren 1126 in Cordoba, gehörten jahrhundertelang zu den wichtigsten
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