Ausser Dienst - Eine Bilanz
Ende des Krieges gar nicht erleben, deshalb wollten wir uns aneinander binden. Aus ähnlichem Empfinden sind damals manche Kriegsehen geschlossen worden. Aber warum eine kirchliche Trauung?
Von Hause aus waren wir beide ziemlich immun gegen die Nazis. Wir haben zwar nichts von ihren schweren Verbrechen, nichts von dem fabrikmäßigen Massenmord in Auschwitz und anderwärts gewußt. Aber immerhin hatte ich begriffen: Die Nazis sind verrückt, Deutschland wird jämmerlich enden. Ich habe mir das Ende noch viel schlimmer vorgestellt, als es dann tatsächlich gekommen ist. Zur Zeit von Hitlers Angriff auf die Sowjetunion war ich darüber mit einem Nennonkel in einen heftigen Streit geraten. Er war ein Freund meines Vaters, fünfundzwanzig oder dreißig Jahre älter als ich, Hauptmann der Reserve, also in gewisser Weise eine Autoritätsperson für den jungen Kriegsleutnant. Ich habe ihn angeschrieen: »Das alles wird mit dem Untergang Deutschlands enden. Der neue deutsche Baustil wird Barack heißen.Aber wir können noch froh sein, wenn wir dann in Baracken und nicht in Erdlöchern leben!« Denn so habe ich mir in der Tat das Ende vorgestellt. Außerdem rechnete ich mit dem Zusammenbruch aller Moral.
In solcher Lage kann man seine Hoffnung nur auf die Kirche setzen, dachte ich, und deshalb muß man die Kirche stützen. Meine Frau teilte diese Vorstellung. So kam es zu dem Entschluß, uns kirchlich trauen zu lassen. Das war nicht als Provokation gemeint, wie einige unserer Bekannten damals meinten; wir waren auch keine Widerstandskämpfer. Unsere kirchliche Trauung war keine Hinwendung zur christlichen Religion, sie war vielmehr Ausdruck unserer Hoffnung auf die moralische Kraft der Kirche, die nach dem erwarteten bösen Ende in Deutschland wieder eine anständige Gesellschaft herstellen würde.
Heute weiß ich längst, daß diese Hoffnung allzu idealistisch und auch naiv gewesen ist. Die Kirchen konnten gar nicht leisten, was wir von ihnen erwarteten. Immerhin hatte Lokis Pastor, Richard Remé, unsere Hoffnung geteilt. Loki kam aus einer atheistischen Familie; um kirchlich getraut zu werden, bedurfte sie zunächst der Taufe. Ihr Pastor glaubte an die Schöpfungsgeschichte im Alten Testament – Loki hingegen war von Charles Darwin überzeugt. Ein halbes Jahr lang haben sie diskutiert. Pastor Remé wußte, daß er Loki nicht überzeugt hatte, aber er taufte sie gleichwohl, weil er ihr Motiv für die kirchliche Trauung verstand und anerkannte.
Nicht wenige Deutsche haben während der Nazi-Herrschaft und im Krieg an ihrem christlichen Glauben festgehalten. Einige wenige fanden aus ihrem Glauben die Kraft zum Widerstand. Einige,die von denVerbrechen wußten, wurden aus Entsetzen und Empörung darüber in ihrem Glauben noch bestärkt. Wieder andere hat ihr Gewissen in den Widerstand geführt, ohne daß sie dazu der Gewißheit eines religiösen Glaubens bedurft hätten. In den meisten Fällen dürfte die Kenntnis von den Verbrechen der Nazis Auslöser für den Entschluß zum Widerstand gewesen sein. Die Offiziere des 20. Juli 1944 hatten zunächst bei der Vorbereitung und bei der Durchführung von Hitlers Angriffskriegen unentbehrliche Dienste geleistet. Erst als ihnen seine verbrecherische Maßlosigkeit und die Unausweichlichkeit der Niederlage klar wurde, haben sie sich zum Tyrannenmord entschließen können. Die große Mehrheit der Deutschen freilich wurde wohl oder übel zu gehorsamen Befehlsempfängern. Der Obrigkeitsgehorsam war schon unter Wilhelm II. gang und gäbe – Zuckmayer hat den »Hauptmann von Köpenick« nicht erfunden!–, und so fiel es den Nazis relativ leicht, schrittweise den totalen Gehorsam einzuüben.
Heutzutage ist die Beziehung zwischen den Kirchen und den staatlichen Obrigkeiten in Deutschland weit besser und deutlich freiheitlicher beschaffen als in den meisten Phasen der deutschen Geschichte. Zum einen ist die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates weithin gesichert. Kirchliche Versuche, auf die Politik Einfluß zu nehmen oder durch Hirtenbriefe die Wähler zur Stimmabgabe für oder gegen eine Partei zu bewegen, sind im Laufe der letzten Jahrzehnte eher selten geworden – und der Erfolg solcher kirchlichen Einmischungen ist heute gering. Zum anderen sind Freiheit und Selbstbestimmung der Kirchen ohne jede Einschränkung gegeben. Die Zeiten der Bismarckschen Pression auf die katholische Kirche oder später die nationalsozialistischen Bevormundungsversuche gegenüber den
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