Ausser Dienst - Eine Bilanz
Verwaltungsbürokratien führen. So wäre etwa eine Fusion zwischen Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zu einem großen nordDeutschen Bundesland theoretisch denkbar. Die Widerstände dagegen wären aber wahrscheinlich so populär, daß sie eine Fusion verhindern würden.
Tatsächlich sind der Stolz auf die Heimat und der Lokalpatriotismus fast überall in Deutschland sehr ausgeprägt, am stärksten in altehrwürdigen Städten und in Ländern, die wie Sachsen und Bayern auf eine über Jahrhunderte sich erstreckende eigene Geschichte zurückblicken können. Aber auch die Einwohner der erst in jüngster Zeit mehr oder weniger künstlich geschaffenen Bundesländer und ebenso ihre Politiker hegen starke Gefühle der Eigenart, der Eigenständigkeit und auch des Eigensinns. Das gilt für das gerade erst ein halbes Jahrhundert alte Bundesland Baden-Württemberg ebenso wie für die nur wenige Jahre älteren Neuschöpfungen Nordrhein-Westfalen, Hessen oder Schleswig-Holstein. Im Laufe der Zeit werden sich wohl in fast allen sechzehn Bundesländern solche kollektiven Identitäten herausbilden. Deshalb kann man von den Ideen zu einer umfassenden Neugliederung der Länder nur abraten. Genausowenig wie Deutschland sich zu einem Zentralstaat eignet, genausowenig ist unser Volk willens, einem etwa zentral organisierten oder zentral angeordneten verfassungsrechtlichen Umbau der Länder zuzustimmen. Auch in der Vergangenheit ist dergleichen bei uns immer nur nach verlorenen Kriegen oder nach Staatszusammenbrüchen möglich gewesen.
In einem Punkt scheint mir eine Korrektur der Ländervielfalt durch Grundgesetzergänzung allerdings sowohl wünschenswert als auch vorstellbar. Ich meine den mißlichen Umstand, daß wir durchschnittlich alle Vierteljahre eine Landtagswahl erleben und daß der jeweilige Landtagswahlkampf sich irritierend auf die politische Arbeit fast der ganzen Bundesrepublik auswirkt. Die prominenten Mitglieder der Bundesregierung und des Bundestages sind laufend zum Engagement veranlaßt; sie verändern sogar die Gesetzgebung und verzögern oder beschleunigen dieselbe, je nachdem, was ihre Parteifreunde im Landtagswahlkampf als nützlich ansehen. Der permanente Wahlkampf im Vierteljahrestakt ist auch deswegen abwegig, weil er die Landespolitiker, vor allem den jeweils zur Wahl stehenden Ministerpräsidenten, zum Zwecke der Popularitätssteigerung zur Einmischung in die Bundespolitik verleitet – und weil er umgekehrt die zentralen Vorstände und Gremien der politischen Parteien ebenso regelmäßig zur Einmischung in die Politik des jeweiligen Landes verführt.
Die übermäßig am Egoismus der Parteien orientierten sechzehn Landtagswahlkämpfe lähmen die politische Arbeit der Bundesregierung. Wünschenswert wäre statt dessen eine grundgesetzliche Vorschrift, die ähnlich wie in den USA alle fälligen Wahlen auf einen einzigen Tag legt, alle zwei Jahre einmal. Unabhängig davon, ob eine Wahlperiode noch zwei oder vier Jahre läuft, ob ein Gouverneur oder der Präsident, ob das Abgeordnetenhaus oder Teile des Senats zu wählen sind, gewählt wird in allen fünfzig Staaten der USA in jedem zweiten Jahr am »Dienstag nach dem ersten Montag im November«. Eine vergleichbare deutsche Regelung und ein allgemeiner Wahltermin würden die heutzutage jedes Vierteljahr wiederkehrende politische Nervosität und Gschaftlhuberei wohltätig dämpfen. Wenn in einem Bundesland aus irgendeinem Grunde eine vorzeitige Wahl notwendig werden sollte, so könnte das Grundgesetz für solchen Fall jedenfalls für die folgende Wahlperiode die Rückkehr zum allgemeinen Wahltermin anordnen. Zwar stieße ein einheitlicher Wahltag zunächst auf mancherlei Bedenken, diese wären im Kern aber rein parteitaktischer Art. Deshalb müßte man den erstmaligen gemeinsamen Wahltag bei der Grundgesetzergänzung so weit in die Zukunft legen, daß keine Partei argwöhnisch zu werden braucht. Ich bin auch in diesem Fall nicht optimistisch, denn eine solche Änderung würde dem Interesse und der Eitelkeit mancher Politiker zuwiderlaufen. Ich weiß, daß Wahlkämpfe unvermeidlich zur Demokratie gehören. Aber permanenten Wahlkampf halte ich für ein vermeidbares Übel.
Am Ende dieses Kapitels will ich wenigstens kurz auf ein Problem hinweisen, das mit dem hier Gesagten eng zusammenhängt: die allzu große Macht der Parteizentralen. Mit Ausnahme der bayerischen CSU sind unsere politischen Parteien de facto weitgehend
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