Ausser Dienst - Eine Bilanz
das »Vorrecht der kleineren Gemeinschaft«, abhanden käme.
Das Wort »Subsidiaritätsprinzip« kam im Grundgesetz ursprünglich nicht vor. Gleichwohl hat dieser Grundgedanke von Anfang an unsere verfassungsrechtlichen Regeln für das Verhältnis zwischen Bund und Ländern beherrscht, die Selbstverwaltung der Gemeinden und Städte war selbstverständlich. Die Zentralisierungstendenzen haben aber im Laufe der Zeit das jedem föderativen Staatssystem eigene Subsidiaritätsprinzip in der Praxis in den Hintergrund gedrängt. Wegen der Notwendigkeit vor allem der steuerlichen, der sozialversicherungswirtschaftlichen und der arbeitsmarktpolitischen Verbundwirtschaft ist in der Praxis ein vielgestaltiges Gefüge von Finanzausgleichsmechanismen entstanden, das immer wieder Anlaß zu Streit gibt. Ein Beispiel dafür gaben zuletzt die Bundesländer Berlin, Bremen und Saarland – die zu den ökonomisch schwächsten Bundesländern zählen und in erheblichem Maße Nutznießer diverser Finanzausgleichssysteme sind – mit ihrem Versuch, durch Verfassungsklage höhere Finanzzuweisungen des Bundes zu erwirken.
Die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung der Bundesländer verlief nicht gleichmäßig. Beispielsweise war Bremen im Finanzausgleich von 1949 bis 1969 ein Geberland, Bayern dagegen bis 1992 ein Empfängerland. Weil auch künftig erhebliche Diskrepanzen in der ökonomischen Entwicklung der einzelnen Bundesländer zu erwarten sind, vor allem aber, weil die sechs ostdeutschen Länder vorhersehbar auch weiterhin hinter den zehn westdeutschen Ländern wirtschaftlich weit zurückbleiben werden – ich werde auf diesen Punkt noch ausführlicher eingehen –, wird die Notwendigkeit zu finanzpolitischen »Föderalismusreformen« auch künftig unvermeidlich bleiben. Dies wird besonders für das Bundesland Berlin gelten, denn die Hauptstadt des Landes ist zugleich zur Hauptstadt der Arbeitslosigkeit und der Sozialhilfe geworden.
Bei allen Korrekturen an unserem föderativen Gefüge und allen Föderalismusreformen muß für eindeutige Verantwortlichkeiten Sorge getragen werden. Unser komplizierter, tief in der deutschen Geschichte verankerter föderativer Staatsaufbau hat, weil er die Macht auf verschiedene Ebenen verteilt, einen Vorzug vor anderen theoretisch denkbaren Staatsformen. Aber zwei Grundprobleme werden uns auch künftig immer wieder beschäftigen: zum einen der Antagonismus zwischen dem Bund und der Gesamtheit der Bundesländer und zum anderen die Vielzahl relativ schwacher und hilfsbedürftiger kleiner Bundesländer. Das letztere Problem könnte theoretisch durch Verschmelzung einiger Länder gelöst werden. Ich würde solche Versuche allerdings mit Skepsis betrachten.
Zum Beispiel würde eine Verschmelzung von Berlin und Brandenburg (die schon einmal gescheitert ist) das vereinigte Bundesland ökonomisch nicht weniger hilfsbedürftig und keineswegs kräftiger werden lassen. Vielleicht wären einige Aufgaben der regionalen Planung leichter zu lösen; zugleich würden aber zwischen den politischen Instanzen der übergewichtigen Stadt Berlin und den Einwohnern der ehemaligen Streusandbüchse Brandenburg Abgrenzungs- und Finanzprobleme auftreten. Die Berliner würden ihre Herabstufung vom Land zur Kommune jedenfalls kaum ohne erhebliche Widerstände hinnehmen. Eine dauerhafte Lösung des finanzwirtschaftlichen Berlin-Problems kann auf Dauer nur zwischen dem Bund und der Stadt erreicht werden. Theoretisch sind mehrere Lösungen denkbar: auf der einen Seite das Modell einer dem Bund unterstellten und vom Bund unterhaltenen Hauptstadt (dafür gibt es verschiedene Beispiele wie Washington DC, Ottawa, Brasilia oder Canberra), auf der anderen Seite die – ökonomisch wahrscheinlich unzureichende – Option, daß der Bund die Finanzierung aller Hauptstadt-Aufgaben übernimmt, insbesondere die Finanzierung der repräsentativen kulturellen Aufgaben. Am Ende wird eine Lösung zwischen diesen beiden Extremen liegen. Sie wird nur dann dauerhaft sein können, wenn es gelingt, Produktivität, Beschäftigung, Einkommen und Steuerkraft im gesamten Osten Deutschlands dem westdeutschen Niveau weitestgehend anzunähern.
Kleinere Länderfusionen versprechen wenig Erfolg. Was für Berlin und Brandenburg gilt, gilt ähnlich für eine denkbare Verschmelzung des Saarlands mit Rheinland-Pfalz. Dagegen könnten großräumige Verschmelzungen tatsächlich zu erheblichen Vorteilen und zu erheblicher Rationalisierung der Regierungsund
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