Ausser Dienst - Eine Bilanz
damaliger Chef Senator Karl Schiller diesem Wunsch nicht stattgab, habe ich eine mir angebotene Kandidatur zum Bundestag angenommen. Einmal gewählt, lag mir dann allerdings daran, als junger Abgeordneter mich hervorzutun und wiedergewählt zu werden. So ähnlich ist es mir dann später bei allen staatlichen Ämtern ergangen. 1966 – zu Beginn der Großen Koalition – habe ich es abgelehnt, Bundesverkehrsminister zu werden; ich wollte nicht Minister sein. Drei Jahre später – zu Beginn der sozialliberalen Koalition – habe ich mich gegen das Amt des Verteidigungsministers gesträubt und, als ich nicht mehr ausweichen konnte, Herbert Wehner überredet, meine Stelle als Fraktionsvorsitzender zu übernehmen.
Ein einziges Mal habe ich von mir aus ein politisches Amt angestrebt, und das war ein Fehler, den ich später sehr bereut habe: Im Jahre 1966 habe ich mich um das Amt des Vorsitzenden der hamburgischen Landesorganisation der SPD beworben, welches vakant geworden war. Es handelte sich um ein unbezahltes Ehrenamt, mit dem aber Einfluß und Macht verbunden waren. Ich war von 1961 bis 1965 hamburgischer Senator gewesen, dann aber auf Willy Brandts Wunsch in den Bundestag zurückgekehrt, und wollte mir zu Hause Rückhalt verschaffen – »Hausmacht« nannte man das damals in der Presse und in der Sozialdemokratie. Der Gegenkandidat war der ehemalige Bürgermeister Paul Nevermann, den die Hamburger Sozialdemokraten kurz zuvor aus kleinkarierten Motiven zum Rücktritt als Bürgermeister gezwungen hatten. Er war eine halbe Generation älter als ich. Nevermann wurde vom Parteitag mit ausreichendem Vorsprung gewählt. Ich habe mir später meine Kandidatur nicht nur als politisch fehlerhaft vorgehalten, sondern auch als unanständig. Denn die Wahl Nevermanns war eine Art Wiedergutmachung durch die Delegierten, die ich nicht hätte stören dürfen. Ich habe daraus die Lehre gezogen, nicht ungefragt und nicht ohne Not im Wettbewerb mit einem anderen qualifizierten Bewerber für ein politisches Amt zu kandidieren.
Diese Erfahrung hat ein Jahrzehnt später, im Mai 1974, als es in Bad Münstereifel um Willy Brandts Rücktritt als Bundeskanzler ging, für mich wahrscheinlich eine gewisse Rolle gespielt. Nicht was die Nachfolge im Amt des Bundeskanzlers betraf – da war ich vor allem besorgt, dem Amt und seiner Verantwortung nicht gewachsen zu sein –, wohl aber im Blick auf den Parteivorsitz. Ich fand die Guillaume-Affäre als Rücktrittsgrund für einen Kanzler völlig unzureichend, desgleichen die Sorge vor einer öffentlichen Diskussion über Brandts sogenannte Frauengeschichten – ich erinnerte mich an die ungerechtfertigte Ablösung des Bürgermeisters Nevermann aus ähnlichem Grund. Jedenfalls habe ich dem Rücktritt Willy Brandts auf das heftigste widersprochen. Sein Entschluß blieb jedoch unumstößlich, er hatte sich innerlich festgelegt. Als Herbert Wehner dann vorschlug, Brandt solle weiterhin Parteivorsitzender der SPD bleiben, habe ich diesem Vorschlag sogleich und ohne Bedenken zugestimmt; und dabei spielte abermals die Erinnerung an meine Kandidatur gegen Nevermann eine Rolle. Viele Jahre später habe ich diese Entscheidung für einen politischen Fehler gehalten.
Bis heute bin ich der einzige Bundeskanzler gewesen, der nicht zugleich Vorsitzender der Regierungspartei war (am Ende der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder gab es eine kurzfristige und deshalb unbedeutende Ausnahme von der Regel). In der Aufteilung beider Ämter auf zwei Personen liegt ein Risiko der politischen Divergenz, welches 1982, gegen Ende der sozialliberalen Koalition, offensichtlich wurde. Die nachfolgenden Kanzler Kohl, Schröder und Merkel haben das Risiko nicht in Kauf genommen, ihnen unterstand zugleich die Parteizentrale. In Deutschland sind die finanziell und personell im internationalen Vergleich ungewöhnlich luxuriös ausgestatteten Zentralen, ihre Präsidien und Vorstände tatsächlich starke Machtballungen. An ihnen hängen auch die personell und finanziell gut ausgestatteten sogenannten parteinahen Stiftungen. Die Zentralen können häufig sowohl der Regierung als auch den parlamentarischen Fraktionen die Politik vorgeben, ohne dazu vom Volk gewählt zu sein. Jedenfalls hat das politische Eigenleben der sozialdemokratischen Zentrale im Erich-Ollenhauer-Haus in Bonn, das ich nur gelegentlich und im Ergebnis nur marginal beeinflussen konnte, in erheblichem Maße das Abrutschen der SPD nach links begünstigt. Auf
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