Ausser Dienst - Eine Bilanz
hatten wir unterschätzt. Der Finanzminister Hans Apel hatte ein besseres ökonomisches Augenmaß. Immerhin habe ich aus der damals notwendig gewordenen Verschiebung der fälligen Rentenerhöhung um ein halbes Jahr erkennen können, in welch hohem Maße die Verflechtung Deutschlands in die Weltwirtschaft sich negativ auf Wirtschaftswachstum, Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Finanzen unseres Staates auswirken konnte.
Das Schlagwort »Globalisierung« hat es damals noch nicht gegeben, wohl aber die ihm zugrunde liegende weltweite Vernetzung und gegenseitige Abhängigkeit der nationalen Volkswirtschaften. Der Anteil der Bundesrepublik am Sozialprodukt der Weltwirtschaft lag bei rund einem Zwanzigstel, unser Anteil am Welthandel lag aber bereits bei rund einem Zehntel. Die enge Verflechtung in die Weltwirtschaft setzte Deutschland viel stärker als die anderen großen Industriestaaten den Beeinträchtigungen aus, die sich aus den Ölpreis-Explosionen und der ihnen zwangsläufig folgenden Weltrezession ergaben. Im Blick auf die Raten der Preisinflation und der Arbeitslosigkeit sind wir deutlich besser mit dem Problem fertig geworden als Frankreich, England und Italien. Die theoretisch denkbare Konsequenz, unsere ungewöhnlich hohe außenwirtschaftliche Abhängigkeit zurückzufahren, habe ich nicht gezogen – wahrscheinlich zu Recht, denn die zu diesem Zweck nötigen administrativen, fiskalischen und währungspolitischen Instrumente hätten unverhältnismäßige Schäden ausgelöst.
Der zweite hier nachzutragende Fehler erfolgte bereits 1969 mit der Einfügung der Artikel 91a und 91b – der drei sogenannten Gemeinschaftsaufgaben plus Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes – in das Grundgesetz (Hochschulausbau, regionale Wirtschaftsstruktur, Agrarstruktur und Küstenschutz). Es war ein Fehler mit weitreichenden staatspolitischen Folgen. Die Initiative war von der Regierung der Großen Koalition ausgegangen, Finanzminister Strauß und Wirtschaftsminister Schiller vertraten mit großer fachlicher Autorität gemeinsam die Entwürfe, und der Bundestag hat sie fast einstimmig beschlossen – so auch ich als damaliger Vorsitzender der SPD-Fraktion. Erst sehr viel später habe ich verstanden, daß wir mit dieser Gesetzgebung zu der am Ende fast undurchschaubar gewordenen Vermischung von Kompetenzen des Bundes und der Länder und zur Schwerfälligkeit der vermischten Finanzierung erheblich beigetragen haben. Es hat fast vier Jahrzehnte gedauert, bis eine abermalige große Koalition durch erneute Verfassungsergänzung allererste vorsichtige Schneisen in den Wirrwarr geschnitten hat.
Die Personalentscheidung schließlich, die ich mir als Fehler anrechnen muß, ist öffentlich fast unbemerkt geblieben, weil sie mehr in den persönlichen Bereich gehörte. Es handelte sich um die Berufung Kurt Beckers Ende 1980 zum Nachfolger Klaus Böllings als Pressesprecher der Bundesregierung. Becker war einer der großen politischen Journalisten meiner Generation, ein nachdenklicher, in seinem Urteil völlig unabhängiger Mann. Ich kannte ihn seit Jahrzehnten und hatte über lange Jahre seine politischen Artikel mit Gewinn gelesen. Er hatte bei der »Welt« begonnen und war später gemeinsam mit Paul Sethe, der ursprünglich von der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« gekommen war, bei der ZEIT gelandet. Ich hatte mir mit Theo Sommer schon einmal einen hervorragenden Redakteur aus der ZEIT geholt (Sommer war 1969/70 der erfolgreiche Leiter des Planungsstabes im Verteidigungsministerium gewesen). Um so näher lag es für mich, Kurt Becker zu fragen, ob er Böllings Amt zu übernehmen bereit sei (Bölling ging als »Ständiger Vertreter« unseres Staates nach Ost-Berlin). So ist es dann geschehen.
Es stellte sich jedoch bald heraus, daß Becker für den intrigen- und fintenreichen Bonner Pressebetrieb zu gutmütig und zu ehrlich war. Als Staatssekretär verstand er sich eher als Diener des Staates denn als Diener der Bundesregierung – und schon gar nicht als Diener ihrer sozialdemokratischen Mitglieder. Das war ihm gewiß nicht vorzuwerfen, viele Sozialdemokraten haben es ihm aber gleichwohl verübelt. Weil ich Becker und seinen Charakter gut kannte, hätte ich das Dilemma voraussehen müssen, das zwischen seinem Amtsverständnis und dem bereits ziemlich zerrissenen und entsprechend nervösen sozialdemokratischen Personal entstand. Daß ich ein gutes Jahr später Becker eröffnen mußte, ihn nicht länger halten zu können, seine
Weitere Kostenlose Bücher