Ausser Dienst - Eine Bilanz
bereits sehr lang!
Innenpolitisch bedarf es einer langwierigen Anstrengung, um die muslimischen Mitbürger in unseren Schulen, im Arbeitsmarkt und in unserer Politik angemessen zu beteiligen. Unser Staat, die Kirchen und die Medien sollten der islamischen Religion mit dem gleichen Respekt begegnen, den sie bisher dem katholischen, dem evangelischen und dem jüdischen Bekenntnis gezollt haben. Wir sollten auch in der Europäischen Union und in allen internationalen Gremien für diese Gleichbehandlung eintreten. Darüber hinaus sollten wir darauf drängen, daß der Europäische Rat, die Regierungschefs und das Europäische Parlament sich dem Islam öffnen. Es ist nicht Deutschlands Aufgabe, dem religiösen Oberhaupt der kleinen, ethnisch begrenzten Sekten der tibetischen Buddhisten zur öffentlichen Anerkennung zu verhelfen. Wohl aber liegt die öffentliche Anerkennung der islamischen Weltreligion in unserem Interesse.
Wir müssen zugleich darauf achten, daß der an vielen Orten in manchen Staaten auftretende islamistische Terrorismus nicht als typisches oder als inhärentes Element des Islam mißdeutet wird. Es hat auch in der langen Geschichte des Christentums immer wieder Kriegsverbrechen und Terrorismus gegeben, gleichwohl hält niemand etwa die Folterungen durch die Inquisition oder die Verbrennungen auf dem Scheiterhaufen für typische Kennzeichen des Christentums. Hinterhältige Attentate, Morde und Geiselnahmen ziehen sich durch die gesamte Geschichte der Menschheit, unabhängig von der Religion. Seit der Aufklärung hat man zu ihrer Verfolgung und Verurteilung den Rechtsstaat, Polizei und Strafgerichte. Wer ohne Not militärische Streitkräfte zu bewaffnetem Kampf gegen islamistische Terroristen einsetzt, kann dadurch Wut, Erbitterung und zusätzlichen Terrorismus provozieren – so ist es dem Präsidenten Bush jun. im Irak ergangen. Der Westen kann auch im 21. Jahrhundert nicht jeglichen Terrorismus ausrotten. Er muß ihn mit vielerlei politischen Mitteln zurückdrängen. Aber er muß dabei sorgfältig darauf achten, nicht einen generellen Konflikt mit dem Islam auszulösen, der die Spirale der Gewalt – auf beiden Seiten – nur weiterdrehen und dem Terrorismus neue Rekruten zuführen würde.
Die Möglichkeit eines solchen Konflikts scheint in letzter Zeit näher gerückt, ein Konflikt ist jedoch keineswegs unvermeidlich. Gegenwärtig erscheinen die USA den politischen und religiösen Führern des Islam als die herausragende, omnipotente westliche Führungsmacht. Eine erkennbare Grundhaltung oder gar ein politisches Konzept der USA gegenüber den mehr als fünfzig islamisch geprägten Staaten gibt es bislang freilich nicht; die Kenntnisse der amerikanischen Politiker über den islamisch geprägten Mittleren Osten sind gering, zumal die islamischen Staaten geographisch und auch historisch für die Amerikaner sehr weit entfernt zu sein scheinen. Vor allem darf Amerika gegenüber der muslimischen Welt nicht mit zwei Zungen reden: Man sollte nicht einer Reihe von Staaten im Mittleren Osten vorwerfen, sie seien undemokratisch und hielten sich nicht an die Menschenrechte, zugleich aber mit muslimischen Militärdiktaturen paktieren und in Saudi-Arabien, wo die gleichen Zustände herrschen, alles mit dem Argument des Öls zudecken, das im amerikanischen Kongreß eine große Rolle spielt.
Auch die Europäische Union hat für den Umgang mit dem islamischen Teil der Welt kein langfristiges Konzept, obgleich sie unmittelbar betroffen ist. Diese Situation bleibt potentiell gefährlich. Die Entwicklung einer positiven zivilen und zugleich lang fristigen Gesamtstrategie für den Umgang mit dem Islam ist für Europa – und ähnlich für Rußland – eine der wichtigsten neuen Aufgaben, die das 21. Jahrhundert uns stellt. Sie muß sowohl kulturelle als auch politische und wirtschaftliche Elemente umfassen. Ohne prinzipielle religiöse Toleranz bleibt die Aufgabe unlösbar.
Von ähnlich großer weltpolitischer Bedeutung ist die Entwicklung einer langfristigen Umweltschutzpolitik einschließlich der Klimapolitik. Hier handelt es sich zum Teil um national lösbare Probleme, zum größ eren Teil jedoch um transnationale und globale Aufgaben. Sie werden zwangsläufig zum Gegenstand der Weltpolitik. Wenn ein grenzüberschreitender Fluß jenseits der Grenze verseucht wird, dann leiden Menschen, Tiere und Pflanzen auch diesseits der Grenze. Wenn ein großer Staat durch seine Industrien und seine Verbrennung von Kohle, Öl und
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