Ausser Dienst - Eine Bilanz
Markt als auch die Euro-Währung Bestand haben. Denn keine nationale Regierung, kein noch so nationalistischer Politiker könnte sein Land herauslösen, ohne der eigenen Nation schwersten ökonomischen und sozialen Schaden zuzufügen. Kein Mitgliedsstaat wäre in der Lage, die eigene Volkswirtschaft wieder zu nationalisieren; die Zeit der »Nationalökonomie« ist für die Europäer vorbei. Die wirtschaftliche Union der Europäer wird dagegen von Dauer sein und in der Weltwirtschaft großes Gewicht haben – und ebenso ihre Währung, der Euro.
Es war ein Glück, daß der Europäische Rat 1992 das Konzept der gemeinsamen Währung beschlossen und den Weg dahin vorgezeichnet hat, bevor die ungewöhnliche, nahezu plötzliche Erweiterung von 12 auf heute 27 Mitgliedsstaaten stattfand. Heute würde die Schaffung einer gemeinsamen Währung in vielen Staaten der EU auf enorme Schwierigkeiten stoßen. Inzwischen ist der Euro in seiner inneren Kaufkraft (d.h. in der Inflationsrate) stabiler als die anderen großen Währungen. In seiner äußeren Kaufkraft (d.h. in seinem Wechselkurs) ist der Euro sehr viel stabiler als die beiden anderen großen Währungen Dollar und Renminbi oder auch Yen, Rubel und Sterling. Wenn wir bei den kleinen nationalen Währungen Franc, Lira, DM usw. geblieben wären, hätten internationale Hedge-Fonds und dergleichen mit unserem Geld rücksichtslos spekulieren können. Ohne den Euro gäbe es auch innerhalb des gemeinsamen Marktes gefährliche Spekulationen auf Wechselkursveränderungen zwischen 27 Währungen. Deshalb bin ich stolz darauf, gemeinsam mit Giscard d’Estaing während unserer Amtszeit und später als private Bürger die heutige Währungsunion vorbereitet zu haben.
Angesichts der inzwischen strukturell verfestigten Ungleichgewichte der Zahlungsbilanzen – stetige Überschüsse in Ostasien und in den Öl und Gas exportierenden Staaten, beständige Defizite in den USA – wird der amerikanische Dollar weiterhin an Wert und an Gewicht verlieren. Weil wir gleichzeitig eine Globalisierung der Finanzmärkte erleben, ohne daß es eine international funktionierende Aufsicht über Banken, Fonds und deren zunehmend undurchsichtige Finanzierungsinstrumente gibt, müssen wir mit der Möglichkeit von globalen Währungs- und Finanzkrisen rechnen. Sie können auf die reale Wirtschaft durchschlagen. Im Jahre 1929 hat der Schwarze Freitag an der Wall Street eine weltweite Depression ausgelöst. 2007 haben einige Zusammenbrüche im amerikanischen Hypothekenmarkt (Subprime Mortgage-Krise) schwere Bankenkrisen in den USA, aber auch in England, Frankreich, Deutschland und der Schweiz nach sich gezogen. Diese Finanzkrise wird in vielen weiteren Staaten zumindest eine Beeinträchtigung des Wirtschaftswachstums herbeiführen. Wenn irgendwo ein Unglück passiert, verhalten sich die Fonds-Manager und Bankvorstände wie eine Herde von Schafen: Einer rennt los und verkauft und verweigert neue Kredite, der zweite folgt, und alsbald rennt die ganze Herde in ein und dieselbe Richtung.
Massenpsychosen unter Finanzmanagern stellen eine erhebliche Gefahr für die weltweit vernetzten Finanzmärkte dar – und somit für die reale Wirtschaft. Damit dergleichen nicht geschieht, tendiert die mächtige Fed, die amerikanische Zentralbank (Federal Reserve System), immer wieder dazu, durch Zinssenkung für hohe Liquidität zu sorgen. Desgleichen neigt sie dazu, gefährdete große Fonds oder Banken zu retten, weil sie einen Dominoeffekt auf die ganze Wirtschaft fürchtet. Die englische Zentralbank (Bank of England) folgt gleichen Prinzipien. Dadurch werden zwar die privaten Finanzinstitute gerettet, die sich verspekuliert haben, aber zugleich nimmt man damit eine steigende Inflationsrate und die negativen Wechselkurseffekte für die reale Wirtschaft in Kauf. Niemand kann weltweit rezessive Weiterungen ausschließen.
Das Finanz- und Währungsgefüge der Welt ist heute in weit höherem Maße störanfällig als jemals vor 1914 oder in der Zeit vom Kriegsende 1945 bis Ende der sechziger Jahre. Die Weltrezession der siebziger Jahre war nur zum Teil von der Abwertung des amerikanischen Dollars verursacht, vielmehr war die von der OPEC aus geostrategisch-politischem Motiv mit Absicht herbeigeführte Explosion des weltweiten Preises für Erdöl der maßgebliche Faktor. Damals konnten Giscard d’Estaing und ich gemeinsam die führenden Industriestaaten der westlichen Welt zur Einberufung von Weltwirtschaftsgipfeln und zur
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