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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Gas die Erdatmosphäre vergiftet, dann leiden auch Völker, die weit entfernt auf einem anderen Kontinent leben. Es ist heute unbestritten, daß die schnell wachsende Menschheit insgesamt durch Industrialisierung, Motorisierung und durch wachsenden Verbrauch von Öl und anderen Kohlenwasserstoffen zur globalen Erwärmung beiträgt. Theoretisch gibt es vielerlei Möglichkeiten, den menschlichen Beitrag zur globalen Erwärmung zu bremsen. Bis heute schließen allerdings das internationale Vertragswerk und das Kyoto-Protokoll weder China noch Indien ein, die USA haben ihre Mitwirkung abgesagt; diese drei Giganten sind aber für die Lösung des Problems von entscheidender Bedeutung. Man wird nicht auf die Dauer davon ausgehen können, daß die Kleinen Selbstbeschränkungen und Opfer auf sich nehmen, wenn die Großen sich versagen. Der Welt-Klimakonferenz auf Bali müssen noch umwälzende Anstrengungen folgen.
    Hier liegt eine weitere neuartige Herausforderung an die Staaten der Welt, die noch vor einem halben Jahrhundert kaum vorstellbar waren. Deutschland kann hier einen Beitrag leisten, aber dieser wird ziemlich unbedeutend bleiben, solange Deutschland als einzelner Staat auftritt und nur für sich spricht. Einige unserer Landsleute neigen zwar dazu, sich selbst zu Weltwortführern in Sachen Klimapolitik zu ernennen; ich rate jedoch zur Zurückhaltung, schließlich stehen wir, was die Verseuchung der Atmosphäre mit Kohlendioxyd und anderen Treibhausgasen angeht, an sechster Stelle der Verursacher weltweit. Beim Boden und beim Wasser haben wir in Deutschland große Fortschritte erzielt, aber die entscheidend wichtigen Gebiete bleiben die Zerstörung der Erdatmosphäre und die globale Erwärmung. Hier hat nur die Europäische Union als Ganzes ein ausreichendes Gewicht im umweltpolitischen Schacher der Weltmächte.
    Zugleich ist allerdings eine Warnung vor Klima-Psychosen angebracht. Es steht fest, daß das Klima auf der Oberfläche unserer Erde seit Jahrmillionen immer wieder großen Schwankungen unterworfen war. Wir wissen von etlichen Eiszeiten und Warmzeiten. Es ist in Deutschland schon einmal sehr viel wärmer gewesen; und wer in seinem Garten gelegentlich Schalen von Meeresmuscheln im Boden findet, weiß, daß das Gelände einstmals, vielleicht während einer Wärmeperiode, ein Meeresboden gewesen sein muß. Auch wenn einzelne Autoren Befriedigung darin finden, uns Angst vor einem klimatischen Weltuntergang zu machen, den wir angeblich verhindern könnten, wenn wir nur wollten – so als ob es in der Macht des Menschen läge, klimatische Veränderungen prinzipiell zu steuern–, müssen wir gleichwohl einen kühlen Kopf bewahren.
    Wir können weder Erdbeben noch Vulkanausbrüche kontrollieren, weder die Jahreszeiten noch die natürliche Folge von Eiszeiten und Warmzeiten. Was wir allerdings tun können: Uns auf Naturereignisse vorbereiten und den Veränderungen Rechnung tragen. Vor allem aber muß die Menschheit die von ihr selbst erzeugten Faktoren der globalen Erwärmung in den Griff bekommen und sie dämpfen und begrenzen, das heißt konkret, die Menge der in die Atmosphäre ausgestoßenen Gase, vor allem Kohlendioxyd und Methan, verringern. Dazu sind vielerlei neue Techniken nötig – von Windkraftanlagen bis zu sparsameren Motoren in Autos, Flugzeugen und Schiffen. Deutschland muß und kann einen angemessenen Beitrag leisten.
    Fassen wir diese einleitenden Feststellungen zusammen, sehen wir, daß sich im 21. Jahrhundert einige neue Herausforderungen ergeben, die wir im vorigen Jahrhundert noch nicht gekannt oder bestenfalls nur geahnt haben. Sie ergeben eine formidable Agenda! Deutschland kann sich und muß sich an der Lösung der Probleme beteiligen. Denn unsere Wirtschaft ist groß und leistungsfähig. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß wir mit 80 Millionen Menschen nur gut ein Prozent der Menschheit ausmachen und daß dieser Anteil noch sinken wird. Unser außenpolitisches Handeln kann Gewicht nur haben im Verbund mit unseren Partnern in Europa und im atlantischen Bündnis. Wir hoffen auf die Festigung der Europäischen Union und auf eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – daß sie eines Tages Wirklichkeit werden, ist allerdings keineswegs gewiß.

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