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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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jährlich um etwa neunhundert Milliarden Dollar, wächst die Auslandsverschuldung der USA. Die Vereinigten Staaten sind weltweit der größ te Auslandsschuldner. Wenn aus irgendeinem Grund das Vertrauen der Welt in die Vitalität der amerikanischen Volkswirtschaft oder in die politische Führung Amerikas schwinden und deshalb der gewaltige Netto-Zustrom ausländischen Kapitals deutlich abnehmen sollte, wäre eine längere wirtschaftliche Rezession in den USA die unvermeidliche Folge. So sind also selbst die mächtigen USA wegen ihrer Abhängigkeit vom Import ausländischen Öls und ausländischen Kapitals stark in die Weltwirtschaft verflochten.
    Vor allem China, aber auch Japan und nicht zuletzt die Öl und Erdgas exportierenden Staaten erzielen heute große Exportüberschüsse. Sie sammeln infolgedessen Massen an ausländischer Währung an, vornehmlich US-Dollars, und sind – ohne dies zunächst angestrebt zu haben – zu gewichtigen Gläubigern der USA geworden. Es zeichnet sich ab, daß sie diese auf Dollar lautenden Währungsreserven teilweise in andere Währungen, etwa in Euro, umtauschen. Sie können sich dafür aber auch in anderen Ländern Rohstoffquellen oder produktive Industrien kaufen. China hat mit beidem begonnen. Andere Überschußstaaten werden dem Beispiel folgen.
    Den großen Zahlungsbilanzdefiziten der USA stehen heute große Zahlungsbilanzüberschüsse in Ostasien und in den Öl und Erdgas exportierenden Staaten gegenüber. Eine marktwirtschaftlich normale Reaktion auf dieses Ungleichgewicht wären eine tendenzielle Abwertung des Dollars und entsprechend eine Aufwertung des chinesischen Renminbi, des japanischen Yen, des russischen Rubel und zwangsläufig auch des europäischen Euro. Je länger diese Wechselkursanpassungen auf sich warten lassen, desto größ er wird die Gefahr von Spekulationen und abrupten Kurszusammenbrüchen.Weil das Erdöl zum großen Teil aus dem Mittleren Osten kommt – von Iran über den Persischen Golf bis nach Saudi-Arabien–, war die Intervention der USA im Irak machtpolitisch zwar verständlich; daß sie völkerrechtlich und moralisch keinesfalls gerechtfertigt war, bedarf heute keiner Betonung mehr. Gleichfalls ist offensichtlich, daß eine etwaige militärische Intervention im Iran den ganzen Mittleren Osten noch weiter destabilisieren würde. Die Folgen, die eine Intervention für die Ölversorgung der Welt, für die Energiepreise, für die Zahlungsbilanzen und die Wechselkurse hätte, würden zusätzliche Ungleichgewichte und Wechselkursrisiken auslösen.
    Es ist offenkundig, daß Deutschland weder im Hinblick auf die Öl- und Erdgasversorgung noch im Gefüge der weltweiten Zahlungsbilanzen und der Wechselkurse großer Währungen über Mittel und Möglichkeiten verfügt, die uns auf diesem Felde eine eigenständige, eine vornehmlich an deutschen Interessen orientierte auswärtige Politik ermöglichen. Weder ist die von Polen und von den baltischen Republiken kritisierte Erdgasleitung von Rußland durch die Ostsee nach Deutschland ein energiepolitisch bedeutsamer Hebel, noch läß t sich mit den in Zeiten der Deutschen Mark gehorteten, bei der Bundesbank liegenden Gold- und Devisenreserven in der Weltpolitik wuchern. Wir bleiben in der Ölpolitik auf Zusammenarbeit mit unseren EU-Partnern und der EU-Kommission angewiesen, in der Währungspolitik auf unsere Euro-Partner. Auf beiden Feldern würden wir im Rahmen der EU allerdings an Gewicht gewinnen, wenn wir uns auf eine erfolgreiche heimische Energiepolitik und eine erfolgreiche binnenwirtschaftliche Politik stützen könnten.
    Immerhin hat Deutschland heute in der Weltwirtschaft ein viel größ eres Gewicht als jemals zu Zeiten der Weimarer Republik und als jemals während der vier Jahrzehnte der Teilung. Es wird allerdings wichtig sein, dieses Gewicht in seiner politischen Bedeutung nicht zu überschätzen. Daß es entsprechende Versuchungen gibt, erkennt man an dem ziemlich aussichtslosen und deshalb törichten Streben einiger deutscher Politiker und Diplomaten nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (im Erfolgsfall wäre damit eine Erweiterung der Zahl der Mitglieder verbunden!). Unser Land hat keine äußerlichen Rangabzeichen nötig. Wohl aber kann es Verdacht und Argwohn hervorrufen, wenn wir den Anschein zulassen, es den atomar bewaffneten ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats gleichtun zu wollen. Auch unverhältnismäß ige Finanzbeiträge sind kein Rangabzeichen – sie

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