Ausser Dienst - Eine Bilanz
Koordinierung ihrer Finanzpolitiken überreden. Eine nachhaltige globale Inflationsphase mit unabsehbaren Folgen konnte so vermieden werden. Heute würde jeder Versuch, mit Hilfe eines G8-Gipfels die Weltwirtschaft zu steuern, eine Illusion bleiben, allenfalls gut für die Fernsehberichterstattung. Denn ohne China, Indien, Brasilien, ohne Afrika und ohne die muslimischen Ölstaaten würden heutzutage unverzichtbare, weil gewichtige Mitspieler fehlen.
Das informelle Zusammenspiel der wichtigsten Zentralbanken kann die Haushalts- und Wirtschaftspolitiken der Staaten nicht koordinieren. In dieser labilen Situation erscheint eine international wirksame Initiative dringend erwünscht. Sie ist seitens der USA nicht zu erwarten, weil die amerikanische Wirtschaft nur vergleichsweise gering globalisiert ist, zugleich aber von hohem ausländischen Kapitalimport profitiert. Deshalb sollte die Europäische Union die Initiative ergreifen. Die EU ist dazu legitimiert, weil sie als Export- und Importmacht mehr Gewicht hat als die USA, China oder Rußland und weil der Euro eine wichtigere Rolle spielt als Renminbi oder Rubel. Europa – und damit auch Deutschland – hat ein deutlich größeres Interesse an der Funktionstüchtigkeit der Weltwirtschaft als die Weltmächte USA, China, Rußland. Auf diesem Gebiet ist die EU übrigens nur geringfügig durch interne Verfahrensregeln und Bürokratie behindert.
Für eine Initiative, wie ich sie mir vorstelle, bietet sich der Weltwährungsfonds (IMF) an. Er ist nach 1945 auf amerikanische Initiative mit dem US-Dollar als Ankerwährung für allseits festgezurrte Wechselkurse begründet worden. Dieser Anker ist vor Jahrzehnten verlorengegangen. Feste, am Dollar fixierte Wechselkurse sind zur Ausnahme geworden. Zugleich haben sich die Aufgaben des IMF zunehmend auf die Rettung überschuldeter Entwicklungsländer reduziert, aber das sachverständige internationale Personal des IMF ist intakt geblieben. Es besteht deshalb heute die Möglichkeit, den IMF mit einer neuen Aufgabe zu betrauen: Entwicklung und Herstellung eines transnationalen Systems zur Transparenz und Überwachung der transnationalen Finanzmärkte, aller ihrer Beteiligten und aller von ihnen in Verkehr gebrachten undurchsichtigen Finanzinstrumente. Schließlich sind im internationalen Finanz- und Kapitalverkehr Verkehrsregeln und Verkehrssicherheit mindestens genauso notwendig wie im See- und Luftverkehr.
Natürlich sind auch andere europäische Initiativen zur finanziellen Stabilisierung der Weltwirtschaft denkbar. Eine regelmäßig sich privat treffende Runde der wichtigsten Finanzminister der Welt könnte ein Anfang sein. Ein formloses, eher privates all jährliches Weltwirtschaftstreffen, das die etwa fünfzehn wichtigsten Mitspieler einschließt, wäre desgleichen wünschenswert – allerdings ohne überflüssige Presse- und Fernsehpräsenz, die doch nur zu opportunistischen Fensterreden verleitet.
Ich komme zurück zu der Frage nach dem gegenwärtigen Zustand der Europäischen Union und den Folgen der Stagnation für ihre Außen- und Sicherheitspolitik. Immerhin besteht die Hoffnung, daß die EU ihren seit dem Maastrichter Vertrag andauernden und mit der sprunghaften Erweiterung auf 27 Mitglieder offenkundig gewordenen Stillstand überwindet. Zumindest eine allseitige Ratifizierung des neuen Grundlagenvertrages könnte gelingen. Der europäische Konvent unter Vorsitz von Giscard d’Estaing hat zu Beginn des Jahrhunderts die grundlegende Vorarbeit geleistet. Dennoch ist ein Fehlschlag nicht auszuschließen. Mit Sicherheit wird aber das Feld der Außen- und Sicherheitspolitik weitgehend ausgespart bleiben. Denn Frankreich und England werden zugunsten der EU nicht auf ihren ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verzichten und noch weniger auf die alleinige Verfügungsgewalt über ihre Atomwaffen. Auch wird keiner der 27 Mitgliedsstaaten auf sein Außenministerium und seine Botschaften verzichten. Zwar wird die EU auf dem Gebiet der Umweltschutz- und Klimapolitik, der Entwicklungshilfe, der Seuchenbekämpfung und der Gesundheitspolitik zu gemeinsamem Handeln gelangen können, aber eine umfassende gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wird in weiter Ferne bleiben.
Wenn der 2007 in Lissabon angestrebte Grundlagenvertrag der Europäischen Union scheitern sollte und es deshalb bei all den bisher auf vielerlei Verträge, Zusätze, Protokolle und Erklärungen verstreuten Regelungen bliebe, wäre das ein
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