Ausser Dienst - Eine Bilanz
vernünftigen Grenzen hält. Wenn der Regierungschef ihn nicht stützt, bleibt dem Finanzminister oft nur die Alternative zwischen höherer Staatsverschuldung oder Rücktritt. Es ist kein Zufall, daß wir von der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis zum Jahre 2008 mehr als doppelt so viele Finanzminister verbraucht haben wie Bundeskanzler.
Für die meisten Politiker ist das Feld der Steuerpolitik ungleich populärer als das der Haushaltspolitik. Besonders beliebt ist der Ruf nach Senkung der Einkommen- und Lohnsteuern. Dabei wird der Hinweis, daß Steuersenkungen zu einer Minderung der Einnahmen des Staatshaushaltes führen, gern mit dem Argument beiseite geschoben, die Steuersenkung werde später zu einer Steigerung des Wachstums der Wirtschaft und infolgedessen zu hö-heren Steuereinnahmen führen. Die amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan und George W. Bush waren Meister dieser Argumentation; aber die unmittelbare Konsequenz war jedes Mal eine ungeheure Steigerung der amerikanischen Staatsverschuldung. Helmut Kohls Versuch, nach 1990 die ökonomische Vereinigung der beiden deutschen Staaten ohne Steuererhöhung zu bewältigen, hatte ähnliche Folgen.
Weit weniger durchschaubar als die Tarife der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer sind die speziellen Vergünstigungen, Ausnahmen und Schlupflöcher im Steuerrecht. Darüber zu reden, ist für einen Politiker deshalb wenig attraktiv, weil nicht öffentlichkeitswirksam. In Deutschland hat die uferlose Ausweitung von Sonderregelungen inzwischen aber dazu geführt, daß kein Handwerksmeister oder Einzelhändler seine Steuererklä-rung, kaum ein Arbeitnehmer seinen Lohnsteuerjahresausgleich ohne fachliche Beratung erstellen kann. Der Gesamtumfang der Texte des Einkommensteuerrechts (ohne Kommentare!) umfaßte im Jahr 2007 sage und schreibe 454 Seiten! Auf diesem Feld haben sich die Fachpolitiker und die Lobbyisten der Fachverbände ausgetobt. Dabei widersprechen manche Ziele der Steuerpolitik den Zielen einzelner Haushaltsausgabetitel. Während zum Beispiel die Agrarpolitiker dafür gesorgt haben, daß der EU-Haushalt den Anbau vom Tabak subventioniert, zwingen gleichzeitig die Gesundheitspolitiker die Tabakindustrie zu prohibitiver Werbung, und die Finanzpolitiker erheben steigende Tabaksteuern.
Es gibt nur sehr wenige Politiker, welche die fiskalischen, die volkswirtschaftlichen und die gesellschaftlichen Wirkungen einer generellen Vereinfachung des Steuerrechts einigermaßen zutreffend einzuschätzen wissen (der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof gehörte nicht dazu). Ein Beispiel war die 2001 vom damaligen Bundesfinanzminister Hans Eichel umgesetzte Reform der Körperschaftssteuer; sie sollte zu einer Verbesserung des Wirtschaftsstandorts Deutschland führen, im Ergebnis bewirkte sie aber für ein Jahr den vollständigen Wegfall aller Einnahmen aus der Körperschaftssteuer. Gleichwohl bleibt eine stringente Durchforstung des deutschen Steuerrechts dringend geboten. Allerdings sollte sie schrittweise erfolgen, um das Risiko unvorhergesehener negativer Auswirkungen begrenzt zu halten.
Das unter Politikern aller Parteien bei weitem beliebteste Feld des gesamten ökonomischen Bereichs ist die Sozialpolitik. Wo es um die Verteilung von Geld geht, kann man auf Wählerstimmen hoffen. Das Feld reicht von der staatlichen Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung über das Kindergeld bis zum Wohngeld für alleinstehende Mütter und zur Subventionierung von Kindertagesstätten. Bei der Sozialpolitik geht es um den bei weitem größ ten Einzelhaushalt der öffentlichen Finanzen. Bevor 1957 die staatliche Rente entsprechend dem Anstieg der Bruttolöhne dynamisiert wurde, machte der Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung rund 39 Prozent des Bundeshaushalts aus; bis heute ist der Anteil auf über 51 Prozent angewachsen, wobei sich zugleich das Volumen des Bundeshaushalts versechzehnfacht hat (von 16 Milliarden Euro auf 260 Milliarden Euro). In diesen Zahlen drückt sich die stetig aufrechterhaltene soziale Gesinnung des Deutschen Bundestags aus, zugleich aber die steigende Belastung der Gesellschaft durch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge.
Bei allen Diskussionen über die Steuer- und die Sozialpolitik bleiben die außenwirtschaftlichen und die weltwirtschaftlichen Faktoren der deutschen Wirtschaftsentwicklung meist außerhalb der Betrachtung. Tatsächlich war die relativ harmlose, rein deutsche Rezession
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