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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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und finanzpolitischer Anstrengungen bedürfen.
    Gewachsen ist vor allem die Erkenntnis, daß die europäischen Volkswirtschaften an einer ausgeglichenen Entwicklung der Weltwirtschaft ein vitales Interesse haben. Diese Einsicht veranlaßte Valéry Giscard d’Estaing und mich im Sommer 1975, regelmäßige Weltwirtschaftsgipfel der wichtigsten Staaten vorzuschlagen, und sie führte uns 1979 zur Schaffung des Europäischen Währungssystems (EWS).
    Die alljährlichen Wirtschaftsgipfel der ersten zehn Jahre haben jedenfalls verhindert, daß die damaligen sieben wichtigsten Volkswirtschaften durch gegenläufige Politiken und im Ergebnis durch inflationäre Aufblähung die Weltwirtschaft ruinierten. Sie haben auch den egozentrischen Vorschlag der USA weitgehend abwehren können, nach dem vornehmlich Deutschland und Japan durch hohe Staatsausgaben, finanziert durch hohe Staatsverschuldung, eine weltweit wirksame Steigerung der Nachfrage auslösen und dergestalt als »Lokomotiven« der gesamten Weltwirtschaft fungieren sollten. Anders als die Weltwirtschaftsgipfel, die im Laufe der Jahrzehnte tendenziell zum fernsehwirksamen Schaugeschäft verkommen sind, hat unsere EWS-Initiative eine bleibende Frucht hervorgebracht, nämlich die mittlerweile fünfzehn westeuropäischen Staaten gemeinsame Euro-Währung. Seither kann es einen Abwertungswettbewerb zwischen den fünfzehn beteiligten europäischen Staaten nicht mehr geben.
    Im Laufe der nächsten Jahrzehnte, so darf man erwarten, wird die gegenwärtig weltweit noch übermächtige Dominanz des amerikanischen Dollars schrittweise abnehmen. Mit dieser Einschätzung stehe ich nicht allein. Über die langfristig fallende Bedeutung des Dollars und die damit steigende Bedeutung des Euro habe ich im Jahr 2003 mit meinem Freund, dem früheren chinesischen Premierminister Zhu Rongji, gesprochen. Zhu erwähnte, daß er bereits in den letzten Jahren seiner Amtszeit in Erwartung des langfristigen Verfalls des Dollar-Wechselkurses die chinesische Zentralbank angewiesen habe, die chinesischen Währungsreserven sukzessive auf höhere Euro-Anteile umzuschichten. Inzwischen sind die lang anhaltenden Überschüsse der chinesischen Handelsbilanz und die auf über 1600 Milliarden Dollar angewachsenen chinesischen Währungsreserven zu langfristig den Dollarkurs beeinflussenden Faktoren geworden. Ende 2006 hat beispielsweise ein chinesischer Staatskonzern damit begonnen, den Großteil seiner Öleinfuhren aus dem Iran mit Euro statt mit Dollar zu bezahlen; zugleich hat Peking begonnen, Teile seiner staatlichen Währungsreserven in anderen Teilen der Welt privatwirtschaftlich zu investieren, um auf diese Weise den eigenen Rohstoffimport zu sichern.
    Als Folge des Wechselkursverfalls des Dollars und des Aufstiegs von Euro und chinesischem Renminbi wird im Laufe der Zeit ein Dreieck der entscheidend wichtigen Währungen entstehen, nämlich Dollar, Euro und Renminbi. Daraus sollte sich dann eine Zusammenarbeit der drei Zentralbanken in Washington, Frankfurt und Peking sowie der drei den Kapitalmarkt beaufsichtigenden staatlichen Instanzen ergeben. Bis dahin ist aber noch ein langer Weg.
    In jedem Fall dürfen wir davon ausgehen, daß sowohl der gemeinsame Markt der Europäer als auch die Euro-Währung sich dauerhaft durchsetzen. Für Deutschland bedeutet dies einerseits eine feste Einbettung in einen größeren europäischen Verbund und andererseits einen weitgehenden Abschied von der »Nationalökonomie«. Sofern es bei der bisherigen Freizügigkeit aller Arbeitnehmer und aller Unternehmen innerhalb des gemeinsamen Marktes der EU bleibt, werden nicht nur nationale Konzepte der Wirtschaftsordnung, sondern später auch die nationalen arbeitsmarktpolitischen und sozialpolitischen Modelle nur schwer aufrechtzuerhalten sein. Die geradezu leichtfertig übereilte Ausweitung des gemeinsamen Marktes könnte auch zu einer Einschränkung der transnationalen Freizügigkeit für die Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Union führen.
    Wenn manche Deutsche sich Sorgen um die Zukunft unserer Wirtschaft machen, dann zumeist deshalb, weil sie um Arbeitsplätze in der Industrie fürchten, zum Beispiel bei Siemens, Bayer, Daimler, Thyssen-Krupp, Volkswagen, Bosch oder Airbus. Tatsächlich aber erwirtschaftet das produzierende Gewerbe (einschließlich der Bauwirtschaft) weniger als 30 Prozent der gesamten statistisch erfaßten Wertschöpfung, während rund 70 Prozent aus Dienstleistungen erwachsen.
    Dienstleistungen

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