Ausser Dienst - Eine Bilanz
der Jahre 1966/67 wohl die letzte Wachstumsunterbrechung, die noch durch innerstaatliche Konjunkturpolitik überwunden werden konnte. Immerhin führten die Krise und die damit einhergehende Arbeitslosigkeit zum Sturz der Regierung Erhard und zur Bildung einer Großen Koalition. Seit dem Ende der sechziger Jahre sind indessen alle Auf- und Abschwünge sowie die Stagnationen der deutschen Volkswirtschaft durch außenwirtschaftliche Faktoren ausgelöst und durch innerstaatliche strukturelle Verhärtungen lediglich verstetigt worden.
Das konnte man Anfang der siebziger Jahre noch nicht erkennen. Noch im Frühjahr 1972 legte eine von mir geleitete Kommission einen für den Zeitraum bis 1985 bestimmten »Entwurf eines ökonomischpolitischen Orientierungsrahmens« vor, der de facto rein binnenwirtschaftlich kalkuliert war. Aber bereits im darauffolgenden Jahr 1973 und abermals 1979/80 wurden durch zwei weltwirtschaftliche Umbrüche alle unsere Voraussetzungen umgestürzt. Einerseits entzogen die USA bereits 1972 dem seit 1945 weltweit geltenden System fester Wechselkurse – das nach seinem amerikanischen Ursprungsort sogenannte Bretton Woods-System – die Grundlage, indem sie den Dollar-Wechselkurs frei schwimmen (das bedeutete in diesem Fall: abwerten) ließen. Andererseits reagierte das Kartell der erdölexportierenden Staaten (OPEC) auf den Jom-Kippur-Krieg 1973 zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn mit einer bewußten Verknappung der Ölexporte und einer Vervielfachung der Ölpreise.
Der Versuch europäischer Zentralbanken, den Dollar-Wechselkurs durch Ankauf von Dollars hochzuhalten, bewirkte zwangsläufig eine Vermehrung der Geldmenge der europäischen Währungen und infolgedessen eine Tendenz zur Inflation. Als die Preise für Rohöl von 1979 an durch die OPEC abermals gesteigert wurden, kam es weltweit zu enormen Preiserhöhungen für Heizöl, Kerosin, Benzin und Dieseltreibstoff und insgesamt zu weiterer inflationistischer Aufblähung. Die Kombination von Dollar-Abwertung, weltweit inflatorischer Geldpolitik und Ölpreisexplosion löste eine weltweite Rezession aus, von der zwangsläufig auch Deutschland betroffen wurde. Statt der im »Orientierungsrahmen« für die Jahre bis 1985 durchaus realistisch unterstellten durchschnittlichen Wachstumsrate von 4,5 bis 5 Prozent wurden tatsächlich durchschnittlich weniger als 2,5 Prozent erreicht. Gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik von 1,2 Prozent im Jahr 1973 auf 9,3 Prozent im Jahr 1985. Die von der Weltrezession ausgelöste Massenarbeitslosigkeit ist seither nicht mehr entscheidend reduziert worden, weil die festgefügten, inflexiblen Strukturen des deutschen Arbeitsmarktes eine Anpassung verhindern. Die ökonomische Vereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten hat nach 1990 die Arbeitslosigkeit noch einmal gesteigert, weil eine Reihe politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen ohne Rücksicht auf die Folgen für den Arbeitsmarkt getroffen wurde.
Die negative weltwirtschaftliche Entwicklung hat mich im Mai 1974, als ich die Bundesregierung zu übernehmen hatte, dazu veranlaßt, die ökonomisch bedeutsamen Aktivitäten des Staates auf die wichtigsten Vorhaben zu konzentrieren und keinerlei zusätzliche größ ere Ausgaben ins Auge zu fassen. Ich hatte die Übermacht der weltwirtschaftlichen Faktoren verstanden und war im weiteren Verlauf der siebziger Jahre froh, die deutschen Inflationsraten und ebenso den Stand der Arbeitslosigkeit wenigstens unterhalb der Quoten der anderen größeren westeuropäischen Staaten halten zu können. Gleichzeitig verschwand der Orientierungsrahmen sang- und klanglos aus dem öffentlichen Bewußtsein; nur die angestrebte überproportionale Steigerung der Ausgaben für Bildung und Wissenschaft blieb der politischen Klasse als notwendige Forderung erhalten, konnte aber in der Praxis auch der nachfolgenden Regierungen nicht verwirklicht werden.
Wenngleich damals das heutzutage von jedermann verwendete Schlagwort »Globalisierung« noch gänzlich unbekannt war, so ist doch von 1973 an die Einsicht gewachsen, daß für ein in die Weltwirtschaft stark eingeflochtenes Land eine rein nationale Konjunkturpolitik ohne ausreichende Wirkung bleiben muß. Jedenfalls ist die früher gängige Annahme eines »außenwirtschaftlichen Gleichgewichts« seither der Erkenntnis gewichen, daß einigermaßen stabile Wechselkurse und eine ausgeglichene Zahlungsbilanz (genauer: Leistungsbilanz) großer wirtschafts-
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