Ausser Dienst - Eine Bilanz
ausgesprochen. Als akute Hauptaufgabe der Sozialdemokratie nannte ich die Ermöglichung vieler zusätzlicher Arbeitsplätze. Vier Jahre später, 1998, wechselte die SPD von der Opposition in die rotgrüne Bundesregierung. Danach hat es noch einmal fast fünf weitere Jahre gedauert, bis Kanzler Schröder im Jahr 2003 wenigstens programmatisch die gebotenen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Konsequenzen zog. Die Absichtserklärung der »Agenda 2010« war ein mutiger erster Durchbruch der ökonomischen Vernunft – die CDU/CSU hatte ihn weder als Regierungs- noch später als Oppositionspartei gewagt. Weil es Schröder nicht gelang, sein Programm der großen Masse seiner Wähler und Anhänger plausibel zu machen, kam es 2005 zur Ablösung seiner Koalition durch die Große Koalition unter Kanzlerin Merkel. Seither kann ihre Partei die positiven Ergebnisse von Schröders Reform, nämlich deutlich günstigere Daten des Arbeitsmarktes, mit Erfolg für sich in Anspruch nehmen, während die Sozialdemokratie unter gewerkschaftlichen Einflüssen darüber rätselt, ob Schröder nicht zu weit gegangen sei. Man kann dies eine Verirrung nennen, denn in Wahrheit ist Schröder noch nicht weit genug gegangen.
Immerhin haben Schröders Reformen ebenso wie eine günstige Weltkonjunktur zu einem spürbaren Rückgang der Arbeitslosigkeit geführt. Wenn aber die Regierenden aus Angst, ihre Wähler zu verschrecken, die weiterhin gebotenen Reformen unterlassen, werden die Zahlen der Arbeitslosen später wieder ansteigen, und die Finanzierung des Wohlfahrtsstaates wird neuen Krisen entgegengehen. Die in ihrer Grundhaltung eher konservative CDU/CSU könnte damit etwas leichter leben als die im Grunde stärker sozialfortschrittlich gesinnte SPD. Jedenfalls würde die große linke Volkspartei SPD sich selbst beschädigen, falls sie sich den hier skizzierten sozialökonomischen Schlußfolgerungen verweigern sollte.
Wer sich an das Ende der Weimarer Koalition erinnert, mußvor jedem Opportunismus warnen: Im Jahr 1930 fiel wegen einer geringfügigen Korrektur (es ging um ein halbes Prozent Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge) die demokratische Weimarer Regierungskoalition auseinander, und es begann jene Notstandsdiktatur des Reichspräsidenten, die drei Jahre später zu Hitlers »Machtergreifung« führte.
Chancen und Risiken der Globalisierung
Es kam bereits zur Sprache: Von allen großen Volkswirtschaften ist Deutschland bei weitem am stärksten in die Weltwirtschaft eingebunden. Im Jahr 2007 betrug die Exportquote des deutschen Bruttoinlandsproduktes über 45 Prozent – in den USA lag sie bei 10 Prozent, in Japan bei 15 Prozent, in Frankreich und in England jeweils bei etwa 27 Prozent, in China bei 35 Prozent. Die deutsche Exportquote hat eine besonders hohe Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft vom Auf und Ab der Weltwirtschaft mit sich gebracht. Deshalb schlägt jede weltweite Wachstumsrezession auf Deutschland viele Male stärker durch als etwa auf die USA; aber eine Wachstumsschwäche der riesenhaften Volkswirtschaft der USA beeinträchtigt das Wachstum der gesamten Wirtschaft der Welt. Konjunkturpolitische Maßnahmen der Bundesregierung können nur unsere Inlandsnachfrage beeinflussen, unsere Exporte jedoch höchstens indirekt und mit großer zeitlicher Verzögerung, das heißt praktisch: so gut wie gar nicht. Unsere öffentliche Meinung und besonders unsere Massenmedien haben die hohe Auslandsabhängigkeit unserer Volkswirtschaft einstweilen noch kaum verstanden. Man brüstet sich gern mit dem Titel des »Exportweltmeisters«, ohne die damit verbundenen Gefährdungen zu ahnen.
Die hohe deutsche Exportquote hat sich erst in den letzten drei Jahrzehnten so rasant entwickelt. Während sie zu Beginn der siebziger Jahre noch bei 22 Prozent des inländischen Sozialproduktes lag, ist sie bis zur deutschen Vereinigung auf über 33 Prozent gestiegen. Die Vereinigung führte zu einem vorübergehenden Abfall, weil die Wirtschaft der ehemaligen DDR kaum exportfähig war. Aber gegen Mitte des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrhundert ist die Exportquote steil auf über 45 Prozent gestiegen. Diese Entwicklung hat natürlich viel mit der zunehmenden Funktionstüchtigkeit des gemeinsamen Marktes der Europäischen Union zu tun, denn eine gute Hälfte unserer Exporte geht in die EU; immerhin aber fließt die kleinere andere Hälfte unserer Exporte in Länder außerhalb der EU – von China bis nach Amerika. Vor allem hängen die
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