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Ausser Dienst - Eine Bilanz

Titel: Ausser Dienst - Eine Bilanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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lieber ihrer örtlichen Sparkasse als einem ihnen persönlich unbekannten und undurchsichtigen Investmentfonds.
    Allerdings kann der internationale Wettbewerb – ob innerhalb des gemeinsamen Marktes der Europäischen Union oder auf den Weltmärkten – uns künftig zu einer anderen Form der Finanzierung unserer Sozialversicherungssysteme drängen. Seit über hundert Jahren finanzieren wir die Sozialversicherung im wesentlichen mit sogenannten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen, die sich beide nach den Bruttolöhnen bemessen. Die Arbeitnehmerbeiträge wirken wie eine zusätzliche spezielle Lohnsteuer, die vor Auszahlung vom Lohn abgezogen wird; die Arbeitgeberbeiträge dagegen sind als Aufschlag auf die Bruttolöhne für das arbeitgebende Unternehmen zusätzliche Lohnnebenkosten und verteuern den Preis für das Produkt. Auf diese Weise entstanden dem Arbeitgeber 2007 in Deutschland auf 100 Euro vereinbarten Bruttolohn tatsächlich im Schnitt 133 Euro Gesamtlohnkosten, von denen der Arbeitnehmer aber nur einen Nettolohn von durchschnittlich rund 63 Euro ausbezahlt bekam.
    Nun sind die deutschen Löhne im weltweiten Vergleich sehr hoch – das ist ja eine der Quellen unseres Wohlstandes–, aber unsere Lohnkosten werden durch die Lohnnebenkosten zusätzlich erhöht. Weil sich die Lohn- und Lohnnebenkosten im Stückpreis niederschlagen, kann sich ein Nachteil im internationalen Wettbewerb ergeben, vor allem im Vergleich mit »Niedriglohnländern«. Deshalb kann es auf lange Sicht zweckmäßig werden, zum Beispiel die staatliche Rentenversicherung nicht über Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge, sondern aus den allgemeinen Steuereinnahmen zu finanzieren. Im Ergebnis würden dadurch die Lohnkosten sinken, die Steuern aber steigen. Langfristig erscheint es mir notwendig, unseren Wohlfahrtsstaat nicht weiterhin über steigende Sozialversicherungsbeiträge und damit auch über steigende Lohnnebenkosten zu finanzieren, sondern ihn schrittweise steigend aus den Steuereinnahmen zu alimentieren. Immerhin werden schon heute rund 33 Prozent aller Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und 100 Prozent aller staatlichen Pensionen der Beamten und Soldaten aus Steuermitteln finanziert.
    Natürlich hat die längere Lebensdauer der Deutschen Auswirkungen auch auf die gesetzliche Krankenversicherung. Weil die Menschen immer älter werden, steigen besonders die Aufwendungen für die Behandlung altersbedingter Krankheiten. Weil gleichzeitig die Medizin ungeheure Fortschritte macht und teurere diagnostische und therapeutische Instrumente, Methoden und Arzneien zur Verfügung stellt, müssen unsere Aufwendungen für die Gesundheit zwangsläufig steigen: Die Entwicklung ging vom Elektrokardiogramm zum Herzkatheter und zum Herzschrittmacher, von den Sulfonamiden zu den Antibiotika, vom Aspirin zum Plavix oder von der Röntgendiagnostik zur Computertomographie.
    Die medizinische Versorgung der Gesellschaft ist in Deutschland im Vergleich mit allen anderen großen Staaten der Welt erstklassig. Wer jemals in England, in den USA oder Japan krank gewesen ist, kann das bezeugen. Gewiß gibt es bei uns auch Fälle von Mißbrauch und Verschwendung. Daß aber deshalb die Große Koalition der Regierung Merkel 2006 eine weit übertreibend so genannte Gesundheitsreform – von der »Neuen Zürcher Zeitung« eine »Monster-Maus« genannt – zeitweilig zum sozial politisch wichtigsten Thema machte, bezeugt einen erstaunlichen Mangel an ökonomischer Urteilskraft. Ganz gewiß wird in Zukunft nicht nur unsere Gesellschaft weiterhin altern, sondern ebenso gewiß wird deshalb der Anteil am Volkseinkommen steigen müssen, den wir für die Gesundheit aufwenden. Daß in gleicher Weise die 1995 eingeführte Pflegeversicherung langfristig vor Finanzproblemen stehen wird, weil sie zukünftig ebenfalls einen höheren finanziellen Aufwand erfordert, ist ebenfalls offensichtlich. Darin spiegelt sich, stärker noch als in der Krankenversicherung, die demographische Entwicklung unserer alternden Gesellschaft.
    Es liegt gut ein Dutzend Jahre zurück, daß ich einmal der Führung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion auf deren Anforderung die Konsequenzen dargelegt habe, die wir aus der Deformation der deutschen Alterspyramide ziehen müssen. Ich habe damals für längere Lebensarbeitszeiten geworben und für einen größ eren Abstand fast aller Sozialleistungen zum Nettolohn der aktiven Arbeitnehmer; auch habe ich mich gegen flächendeckende Lohntarife

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