Ausser Dienst - Eine Bilanz
ungewöhnlich hohen deutschen Exportquoten zum Teil mit der Beweglichkeit der deutschen exportierenden Unternehmen zusammen. Aufgrund von massiven Produktivitätssteigerungen durch Rationalisierung und aufgrund der Qualität ihrer Produkte schneiden sie im internationalen Wettbewerb gut ab. Zum Teil hatte schon die im internationalen Vergleich zurückhaltende Geldpolitik der Bundesbank die Ausweitung der deutschen Binnennachfrage zeitweilig stärker gebremst, als dies in anderen Staaten der Fall war, und dadurch die deutschen Unternehmen indirekt auf den Export verwiesen.
Die Erweiterung der EU von 15 auf 27 Mitgliedsstaaten hat sodann zu einer schnellen Verlagerung von Zulieferungen und Vorprodukten ins Ausland geführt. Dieses sogenannte out-sourcing – vornehmlich in den Osten Mitteleuropas, aber auch nach China und Indien – hat den Anteil der inländischen Wertschöpfung an unseren Exporterlösen und den inländischen Arbeitsanteil dramatisch gemindert; gleichzeitig ist zwangsläufig die deutsche Importquote stark angestiegen. Beide Entwicklungen werden sich vermutlich fortsetzen. Nicht nur mit seiner hohen Exportquote, sondern auch mit der hohen Importquote ragt Deutschland weit über seine großen Nachbarn in der EU heraus. Die Auslandsverflechtung unserer Wirtschaft ist durch Export und Import von Waren heutzutage insgesamt weit höher als jemals zuvor (das Bild verschiebt sich nur unerheblich, wenn man den Ex- und Import von Dienstleistungen einbezieht).
Der ökonomische Aufstieg Chinas, Indiens und anderer Schwellenländer wird sich fortsetzen. Zugleich wird die Zahl der an der Weltwirtschaft beteiligten Menschen in den außereuropäischen Kontinenten weiterhin zunehmen. Die neu hinzutretenden Konkurrenten werden zur Herstellung von Produkten fähig sein, die bisher Domäne der alten Industriestaaten gewesen sind, insbesondere Amerikas, Japans und Westeuropas. Das gilt heute schon für relativ einfache industrielle Produkte, übermorgen wird es auch für High-Tech-Produkte gelten. Ohne Ausnahme aber werden die außerhalb Europas sich neu an der Weltwirtschaft beteiligenden Menschen einstweilen mit viel niedrigeren Löhnen, niedrigeren Sozialleistungen und mit einem insgesamt niedrigeren Lebensstandard zufrieden sein. Außerdem werden sie länger arbeiten und fleißiger sein als die Europäer. Deshalb werden die neuen Konkurrenten ihre Produkte zu relativ niedrigen Preisen anbieten und zum Beispiel deutsche Produkte von den Weltmärkten verdrängen. Dieser Verdrängungsprozeß hat gerade erst begonnen. Gestern ging es noch um Kinderspielzeug aus Plastik, inzwischen geht es um Autos und Containerschiffe, um Software für Computer und um Mobiltelefone, morgen wird es um Flugzeuge und Maschinen gehen.
Die Globalisierung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts hat längst begonnen, ebenso die Globalisierung der Energie- und Rohstoffmärkte – Öl, Erdgas und Stahl an der Spitze – sowie der Finanzmärkte. Die Globalisierung aller industriellen Produktmärkte steht noch bevor, aber auch sie wird unvermeidlich eintreten. Ein deutscher Politiker oder Manager oder Gewerkschafter, der diese Tatsachen nicht zur Kenntnis nehmen will, taugt nicht für seinen Beruf. Denn kein Protest, zum Beispiel gegen sogenanntes Lohn-Dumping in Ostasien, kann verhindern, daß in absehbarer Zeit kaum noch ein in Deutschland hergestelltes Mittelklasseauto in Shanghai verkauft werden kann. Die in China hergestellten Autos werden bald fast genauso gut, dafür aber erheblich billiger sein. Keiner kann wirksam verhindern, daß in Ostasien hergestellte Mobiltelefone in Deutschland billiger angeboten werden als deutsche Erzeugnisse. Wer sich mit Schutzzöllen gegen billigere Importe abschotten wollte, der würde nur die andere Seite provozieren, ein gleiches Importhindernis gegen deutsche oder europäische Produkte zu verhängen. Einen Handelskrieg zwischen den billigen asiatischen Schwellenländern und den teuren europäischen Industriestaaten würde die EU in jedem Fall verlieren.
Was können Europa und Deutschland in dieser Lage tun? Wir stehen vor der Alternative, entweder einen langsam fortschreitenden relativen Verlust unseres Lebensstandards zu ertragen oder aber uns zu Leistungen zu befähigen, welche einstweilen in Asien noch nicht vollbracht werden können. Die Betonung liegt auf dem Wort »einstweilen«; denn in China, Indien und anderen Teilen des asiatischen Kontinents ist man schon heute in der Lage, fast
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