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Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Fricker
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Straßenrand, der Hügel mit dem Aushub trug schon einen Hauch Grün, Spuren keimenden Unkrauts. Bretterstapel, zwei Dixi-Klos, Armierungseisen, eine Baracke, ein Kran. Wir standen am Rand und sahen in die Grube hinunter, auf die Fundamente des zukünftigen Bauwerks. Noch hatte das nichts mit Architektur zu tun. Vom letzten Regen waren große Lachen übrig geblieben, der Wind trieb Fetzen von Plastikverpackungen aufs unbestellte Feld hinaus. Freigelegt die Schichten des märkischen Erdreichs. Die Arbeiter hatten längst Feierabend. Am Horizont waren mehrere Würfel auszumachen. Große Hallen, Möbel Höffner und Metro.
    Sebastian ging um die Baugrube herum, aufs Feld hinaus. Wo willst du hin? Mir einen Überblick verschaffen. Die Enden seines gelben Seidenschals bauschten sich. Er drehte sich um und sah zurück. Ich winkte. Er winkte, wie zum Abschied. Ich setzte mich auf einen Bretterstapel, wartete.
    Ich hatte viele Kompromisse eingehen müssen. Der Bauherr hatte ein teures Missmanagement in der Führungsetage zu verkraften. Am Ende jedenfalls sah keiner noch ein, wozu alte Menschen sich in einem Heim eigentlich wohlfühlen müssen. Es war ein ganz gewöhnliches Heim geworden. Warten aufs Sterben, basta.
    Sebastian hatte sich sehr geärgert. Sebastian fand sich ohnehin schwerer mit Kompromissen ab als ich. Einmal wollte er alles hinschmeißen. Lieber irgendeine stumpfe Arbeit tun, als sich tagtäglich die Träume zu ruinieren. Unentschieden, was ihn mehr ankotzte, für die öffentliche Hand zu bauen, die sowieso nie Geld hatte, oder für reiches Pack, dem alles nichts bedeutete. In seinem Büro saßen sie zu sechst in einem Raum. Sie planten, entwarfen, berechneten wie im Akkord. Sie kommunizierten untereinander per E-Mail. Sebastian dachte seit Jahren, das sei nur ein vorübergehender Zustand, irgendwann werde er sich selbstständig machen. Irgendwann könne er sich aussuchen, was er baue. Aber er arbeitete von morgens bis abends, bis nachts fürs Büro. Kaum etwas wurde unter seinem Namen gebaut. Er konnte froh sein, wenn er in einer Publikation erwähnt wurde. Die Kraft reichte nicht aus für eigene Projekte nebenbei. Er verschob sie auf später.
    Es war nicht weit bis zu Erwin. Ich ging zu Fuß. Noch immer bleckten die blauen Lichter über die Fassaden. Wie ich Erwin kannte, würden sie nicht vor dem Morgengrauen aufhören zu feiern. Ich hatte Durst.
    Die Tür zu Erwins Penthouse stand sperrangelweit offen. Katja!, rief Erwin auf dem Boden liegend, auf seinem Bauch saß Rolando. Da bist du ja! Ich dachte schon, du kommst nicht mehr! Katja!, rief Rolando. Betty hing auf dem Sofa und kicherte, in der Hand ein halb volles Sektglas. Betty war deutlich jünger als Erwin und auch jünger als die beiden Frauen vor ihr. Sie hatte ein Kunstgeschichtestudium abgebrochen, war in der Medienbranche tätig gewesen. Sie war hübsch, sie redete viel dummes Zeug.
    Es ist nicht das, wonach es aussieht, keuchte Erwin, dann prusteten beide los. Es sieht so aus, sagte ich, als wärt ihr ziemlich besoffen. Prusten. Sorry, ächzte Erwin dazwischen. Tut euch keinen Zwang an. Ich brauche jetzt was zu trinken. In der Küche, sagte Betty und blieb sitzen. Ich holte mir ein Bier und ließ mich neben Betty aufs Sofa fallen. Erwin und Rolando rappelten sich hoch. Rolando macht seit Kurzem Judo, sagte Betty, als würde das alles erklären. Erwin ging zur Stereoanlage und legte neue Musik auf, Zappa. Er drehte richtig laut. Greta, die Praktikantin, kam aus dem Bad. Ah, Katja, schön, dass du doch noch gekommen bist. Was? Sie war nicht ganz so betrunken wie die anderen. Rolando tanzte wie blöd. Erwin machte das Schlagzeug nach und bekam wieder einen Lachanfall. Betty zog die Beine hoch und kuschelte sich in ihre Sofaecke. Sie fummelte an ihren Fingernägeln rum, murmelte etwas vor sich hin. Greta setzte sich mir gegenüber in den Sessel. Ich trank. Wie geht es ihm?, schrie Greta. Was? Ich sah sie an. Trank. Sie sah weg. Nach einer Weile stand sie auf, nahm ihre Jacke, winkte in die Runde und ging. Ich holte mir ein zweites Bier. Mir schien, als kreiselte draußen noch immer das blaue Licht. Sieht man das bis hierher? Oder es war ein anderer, ein neuer Unfall, keine Ahnung. Langsam verschwammen die Konturen. Die von eckig gebogenem Draht gehaltenen Leuchten über dem Tisch. Die aussahen wie Tänzer, wie lustige Derwische mit Fackeln. Teelichter überall, einige erloschen. Erwins rundes, rotbackiges Gesicht. Ich fragte mich kurz, wie Erwin es

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