Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Fricker
Vom Netzwerk:
schaffte, sich immer diese jungen hübschen Dinger zu angeln. Rolando fuchtelte jetzt an Erwin herum, er zeigte ihm wohl Griffe, Judogriffe. Betty nuckelte an ihrem Sektglas. Ich legte den Kopf zurück in die Kissen, schloss die Augen.
You Are What You Is
. Geil. So laut. Irgendwann breitete jemand eine Decke über mich.
    Wir fanden einen Heimplatz in Kreuzberg, zehn Minuten mit der U-Bahn, umsteigen am Alex. Bauhaus, schlichte, helle Räume, gemütliche Wohngruppen. Die Gruppen trugen Namen von Meeresfischen: Hering, Makrele, Delfin, Walfisch. Die Türen und Flure jeder Gruppe waren in unterschiedlichen Farben gestrichen. Sebastian zog in die Walfischgruppe unters Dach. Grünblau. Die Farbe des Zimmers durften wir selbst auswählen. Wir entschieden uns für Weiß. Weiß, wie zu Hause. Taubengrau Fensterrahmen und Tür. Dazu passend Bettwäsche und Teppich. Vorhänge brauchten wir nicht; der Blick ging in Baumkronen und Wolken. Die Wände waren dünn. Geräusche drangen mühelos in jeden Winkel. Rauschen der Toilettenspülung, Klappern von Geschirr. Worte, die nebenan gesprochen wurden. Gelächter, Geschrei. Acht andere Menschen wohnten in der Gruppe. Sie sahen zu, während die Möbel geliefert wurden. Ein Bett, ein Schrank, ein Sessel, ein Teppich. Sie standen im Weg. Sie wollten Sebastian anfassen, sie wollten mich anfassen, sie würden in Zukunft Sebastians Familie sein. Zusammengewürfelt, ungefragt, ob sie mit diesem oder jenem leben wollten.
    Ich räumte die Kleider in den Schrank, die Toilettensachen ins Bad. Stellte die Schuhe neben die Tür. Hängte Fallingwater über das Bett. Ich hatte das Zeitungsbild rahmen lassen.
    Gleich nach dem Umzug fuhren wir an die Ostsee. Nur Sebastian und ich. Der Heimleiter hatte die Stirn gerunzelt, ob das gut sei, so viele Ortswechsel in so kurzer Zeit. Es war nicht gut, aber ich bestand darauf, mit Sebastian ans Meer zu fahren. Nur für ein paar Tage.
    Ich verstaute drei Packungen Windeln für Erwachsene im Kofferraum. Zwei Taschen mit Ersatzkleidern und Ersatzbettwäsche. Der Arzt hatte mir einen Vorrat an Beruhigungstropfen mitgegeben.
    Wir fuhren die gleiche Strecke wie damals. A 11 Richtung Norden. Sebastian schlief nicht, er brummte die ganze Zeit, in unregelmäßigen Abständen juchzte er kurz und schrill auf. Ich hatte ihm genug Tropfen gegeben, um einen Anfall auf der Fahrt so gut wie auszuschließen. Genau wusste man das natürlich nie. Ich fuhr nicht schnell und blieb auf der rechten Spur. Es war Schmuddelwetter, aber für die nächsten Tage war Sonne vorhergesagt, zumindest an den Küsten.
    Ich lutschte süßsaure Drops. Linker Hand tauchte ein Windpark aus dem Dunst, die Räder standen still. Gegen Mittag schon passierten wir die Brücke hinter Anklam. Über dem Meer war ein roter Streif zu sehen. Ich gab Gas. Ich hatte nirgends ein Zimmer reserviert. Aus Trotz. Ich wollte ausprobieren, was noch ging. Sonst würden wir eben am Meer schlafen.
    Als würde auch er sich freuen auf das, was vor uns lag, schlenkerte Sebastian mit dem Kopf. Das Schlenkern konnte auch etwas ganz anderes bedeuten. Hatte ich ihm doch nicht genug Tropfen gegeben? Ich trat auf die Bremse, fuhr ein paar Kilometer nur im Schritttempo, damit ich sofort anhalten könnte. Es passierte nichts.
    In Bansin parkte ich direkt an der Strandpromenade. Ich machte den Motor aus. Hier war alles trocken. Ich stieg aus, nahm die Wolldecke aus dem Kofferraum. Ich half Sebastian aus dem Wagen, wir gingen zu einer Bank, ich legte die Wolldecke auf die Bohlen. Bittesehr, nehmen Sie Platz! Bastian, sagte ich, schau, das Meer. Er saß aufrecht, ohne zu schaukeln, zu brummen oder mit der Hand auf den Schenkel zu klatschen. Ich hielt seine Hand mit dem Kettchen, ich suchte seine Augen. Mir war, als sähe er übers graue, aufgebrachte Meer hinweg. Als fänden seine Augen Halt an einer fernen Küste. Das Herz hämmerte mir im Hals, im Bauch. Ich hätte am liebsten vor Freude geschrien und tat es nur nicht, weil ich Angst hatte, alles wäre gleich wieder vorbei. Bastian, Bastian, flüsterte ich ihm ins Ohr. Er wandte den Kopf, sah mich an. Er sah mich an, sah mir in die Augen. Nicht möglich. Das war unmöglich, er konnte das nicht. Und doch tat er es. Ich misstraute meiner Wahrnehmung. Das war Zufall. Zufällig hatten seine Augen meine getroffen. Bastian? Ich bins, Katja! Hörst du? Das wäre, das wäre ja. Ich konnte es gar nicht fassen. Ich würde schon mit so wenig zufrieden sein. Könnte ich sicher sein, er,

Weitere Kostenlose Bücher