Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Fricker
Vom Netzwerk:
Sebastian, sähe das Meer, wäre ich vollauf zufrieden. Ich umfasste ihn mit den Armen, legte meinen Kopf an seine Brust. Ich hörte den Wind, das Geschrei der Möwen und hörte hinter allem sein Herz pochen, kräftig und regelmäßig.
    Wir fanden eine Pension nicht weit vom Strand. Sie hieß Albatros. Pension Albatros. Sie hatte ein Reetdach und hellblau gestrichene Fensterläden. Über der Tür hing ein rotweißer Rettungsring. Als ich das Gartentor aufstieß, hörte ich eine Art jaulendes Knurren. Im nächsten Moment hing eine Katze an meinem Bein. Ich schrie und versuchte das Viech abzuschütteln. Es knurrte, tief hinten in der Kehle. Mehr noch als der Schmerz irritierte mich dieses katzenuntypische Verhalten. Tollwut? Sebastian stand neben mir. Die Tür flog auf, eine Frau stürzte heraus und rief streng: Bonny! Die Katze ließ sofort von mir ab und flitzte mit schräg gelegtem Schwanz unter einen Strauch. Es tue ihr leid, sagte die Frau, ob ich verletzt sei?
    Wir suchen ein Zimmer für ein paar Nächte, sagte ich.
    Kommt erst mal rein, sagte sie. In der Küche krempelte ich die Hose hoch, zwei tiefe Löcher färbten sich zusehends violett. Die Frau schüttelte den Kopf, holte Jod und desinfizierte die Wunde. Sie habe schon alles probiert, nichts helfe, und ich könne mir ja vorstellen, wie schwierig das sei im Sommer, wenn die Gäste ein und aus gingen. Ob ich gegen Tetanus geimpft sei? Sie habe Bonny auch schon weggegeben, aber sie sei nach drei Tagen zurückgekommen. Sie könne Bonny doch deswegen nicht einschläfern lassen. Meistens sperre sie sie ein, aber jetzt, in der Zwischensaison. Sie habe ja mit niemandem gerechnet. Halb so schlimm, sagte ich. Die Frau war klein und rundlich, sie hatte rote Wangen. Ich mochte sie sofort. Wie viele Nächte wir bleiben wollten? Drei oder vier, sagte ich. Sie nickte. Es ist schön hier, sagte sie, nur ein paar Schritte bis zum Strand. Und das Wetter soll auch besser werden.
    Sie zeigte uns das Zimmer.
    Ich setzte Sebastian aufs Bett. Die Frau stand daneben, sie schien auf etwas zu warten. Mein Mann, sagte ich und machte eine vage Handbewegung. Die Frau sah zu Boden, das tut mir leid, sagte sie. War es ein Unfall, fragte sie leise. So ähnlich, antwortete ich. Dann holte ich die Sachen aus dem Auto.
    In der Wade spürte ich mein Herz pochen, den Schmerz, der mit jedem Pulsschlag zuzunehmen schien. So eine kleine Wunde nur. Sebastian schlief. Vor dem Haus stand eine Straßenlaterne, ihr Licht warf den unruhigen Schatten eines Baumes an die Decke unseres Zimmers. Durch die geschlossenen Fenster hörte man ein Rauschen, man wusste nicht, ob es das Meer war oder der Wind.
    Ich träumte von Rufus. Dass er zurückgekommen ist. Dass er lebt und lebt und alle sich wundern, wie ururalt der Kater nun schon geworden ist, das sei doch gar nicht möglich, sagen sie, so ein Alter bei einer Katze. Rufus aber sieht grauenhaft aus, verstaubtes, mottenlöchriges Fell, glasige Augen und überall stechen Drähte durch eine trockene, ledrige Haut. Er streicht um Sebastians Beine, während Sebastian Koffer packt in einem Zimmer, das aussieht wie ein Hotelzimmer. Ich will ihm etwas erklären, aber kein Wort kommt über meine Lippen. Ich bin stumm. Er sieht mich an und scheint auf etwas zu warten. Verlassen wir uns jetzt? Verlässt du mich? Er verschnürt den Koffer, der viel zu voll ist, mit einem Gürtel. Unten steht ein schwarzes Taxi. Er fährt davon, ohne zu winken, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich renne hinter dem Taxi her. Es regnet. Irgendwann komme ich zum Bahnhof, dort steht meine Mutter. Sie sagt, jetzt wo Sebastian tot sei, solle ich endlich einsteigen, der Zug wolle abfahren. Er ist nicht tot, will ich sagen, er ist nur weggefahren für eine Weile. Ich habe das Taxi mit eigenen Augen gesehen. Mutter beginnt abscheulich zu lachen. Ein riesiger Kater (nicht Rufus) kommt um die Ecke geschossen und beißt mich ins Bein.
    Jäh wachte ich auf. Sebastian saß im Bett, wiegte sich vor und zurück. Es stank, hoffentlich hatte die Windel gehalten. Komm, ich nahm seine Hand. Ins Bad, unter die Dusche. Zog ihn aus, löste vorsichtig die Windel. Als das Wasser seine Haut traf, schrie er. Ich erschrak, überprüfte erneut die Temperatur. Er zitterte. Alles gut, Bastian, halte dich fest, hier, ich legte seine Hand an die Mischbatterie. Die Kotfetzen lösten sich, verdünnten sich, quirlten spiralförmig zum Abfluss. Ich schmierte ihn mit einer Ladung Duschgel ein. Er flennte und jammerte. Als

Weitere Kostenlose Bücher