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Außer sich: Roman (German Edition)

Außer sich: Roman (German Edition)

Titel: Außer sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Fricker
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da und dort Sätze unterstrichen, am Rand mit Bleistift Notizen gemacht. Verweise auf andere Bücher. Seine Schrift. Schwungvoll, ausladend, etwas unordentlich. Schwer zu entziffern. Zumthors Kapelle hatte er eingerahmt. Schindel. Mir gefiel anderes von ihm besser.
Wie viel Helligkeit braucht der Mensch, wie viel Dunkelheit?
Auch Zumthor. Unterstrichen.
    Worüber hast du damals nachgedacht?
    Bastian?!
    Und natürlich Fallingwater, die Ikone. Über einen Wasserfall gebautes Haus.
    Frank Lloyd Wright.
    Das Buch war ziemlich abgegriffen.
    Ein Warenhausbesitzer hatte einst mitten im Wald an einem Wasserfall gesessen. Pennsylvania, Laurel Highlands. Was für eine Geschichte. Was für ein Traum.
    An diesem Ort morgens erwachen, auf die Terrasse treten, auf den Wasserfall blicken. Die Wildnis bewohnbar machen. Wright baute diesen Traum. Ein Haus, über den Wasserfall gebaut. Von dessen Terrassen aus der Wasserfall zwar nicht zu sehen, aber zu hören ist. Die Ohren weit offen für die Musik des Wassers. Für die Partitur der Jahreszeiten. Die Stille der gefrorenen Kaskaden im Winter. Tröpfeln, Plätschern, Murmeln, wenn die ersten Sonnenstrahlen im März die Eisfinger erwärmen. Randvolles Bachbett zur Schneeschmelze, sattes Rauschen. Etwas zurückgenommen, Adagio ma non troppo, Gurgeln und Gluckern, je wärmer der Sommer wird, der Regen längere Zeit ausbleibt. Und im Herbst, kurz bevor die Wasser wieder gefrieren, noch ein letztes Aufbäumen, ein Vivace, ein Vivacissimo.
    Der Blick geht nicht weiter als in Baumkronen, in eine bewaldete Schlucht. Von außen aber ist die Ausdruckskraft spektakulär. Wie gewaltige Schichten aus Fels schieben sich zwei Balkone über den Bachlauf, über den Fall des Wassers. Eine von der Natur durchdrungene Festung, ein Horst, mit der Landschaft verschränkt, verwachsen.
    Während unserer New-York-Reise hatten wir Fallingwater besucht. Im Bus zurück in die Stadt hatte Sebastian das neue Buch auf den Knien, blätterte. Weißt du, sagte er, das heißt für mich Architektur, ein Kribbeln, ein Flattern, als sei man bis über beide Ohren verliebt. In ein Haus? In ein Haus!
    Bastian, stell dir vor! Erwin gibt mir ein Haus für jemanden, dem es nicht auf den Cent ankommt. Ein Haus in der Uckermark. Ein Werbemensch, der es sich leisten kann. Wenn ich Erwin nicht hätte! Ich war ja die letzten Tage ziemlich neben der Spur. Ich vermisse dich.
    In einer der Zeitschriften stieß ich auf einen Text von Yolanda. Ah ja. Das war ich gewesen, ich hatte ihn eingerahmt. Oft hatten wir so lesenswerte Artikel markiert und sie dem anderen hingelegt. Neben dem Kasten stand in Sebastians Schrift eine Telefonnummer. Ich stutzte. Wir hatten, dachte ich, lange keinen Kontakt mehr gehabt zu Yolanda. Was wäre, wenn? So was konnte ich mich jetzt fragen. Wegen einer blöden Telefonnummer. Dabei, ach, hättest du die Nummer bestimmt nicht in diese Zeitschrift gekritzelt. Du und Yolanda, dass ich nicht lache! Du und eine andere Frau. Denkbar? Doppeltes Leben?
    Hatte es Zeiten gegeben, in denen Sebastian später nach Hause gekommen war? Erklärungen nach Ausreden geklungen hatten? Ich glauben wollte, was ich glauben konnte? Nicht misstrauisch wurde. Sollte ich jetzt seine Sachen durchsuchen nach Beweisen? Nach Hotelrechnungen oder Briefen? Vielleicht hatten die Verhältnisse ja ganz anders gelegen. Alles in einem anderen Licht? Yolanda war gegangen, weil sie zu jenem Londoner Architekten gewechselt hatte. Ein Karrieresprung. Ist, was man sich nicht vorstellen kann, auch nicht wahr? Unser Londoner Besuch ging mir durch den Kopf. Unser Streit. Ich hatte Yolanda ja noch verteidigt. Die Entschuldigung. Einzig diese Nummer. Könnte sich auch auf etwas ganz anderes beziehen. Dennoch war da plötzlich ein kleines Irrlicht. Ich stellte mir vor, Sebastian habe, als ich icher war, er denke an mich zuerst, wenn er an jemanden denkt, an Yolanda zum Beispiel gedacht. Dass er mir bald gestanden hätte, in jemand anders verliebt zu sein. Oder ich hätte es selbst gemerkt. Unter normalen Umständen hätte er sich womöglich für eine Trennung entschieden. Die Jahre mit Sebastian nur noch Schrott, im Nachhinein. Im Licht des Verrats. Ich begann zu suchen. Wollte wissen, woran ich war. Seine Papiere, die ich bisher nicht angefasst hatte. Ich suchte in Hosentaschen und Jacketts. Zwischen Hemden und Pullovern. Ich dachte, ich müsste mir das verbieten. Jemand müsste mir das verbieten. Ich fand nichts. Ich war betrunken. Ich nahm das Telefon

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