Aussicht auf Sternschnuppen
man muss sich doch nur die Vornamen von mir und meinen Geschwistern anschauen, um zu sehen, dass ich mir meine Außenseiterrolle nicht nur einbildete. Während meine Eltern mir den herben Namen Helga („die Gesunde“) gegeben hatten, nannten sie meine Geschwister Felicitas („die Glückliche“), Mia („die Unbezähmbare“) und Lilly („Vollkommenheit“). Das war doch unfair, oder?
„Wissen Sie was?“ Nils’ Stimme unterbrach meine Gedanken.
„Was?“
„Ihr Name ist gar nicht so übel.“
„Wie kommen Sie darauf?“ Konnte dieser Mensch Gedanken lesen?
„Kennen Sie Hägar, den Schrecklichen?“
„Nein. Sollte ich?“
Er sah mich ungläubig an. „Sie kennen keine Hägar-Comics?“
„Jetzt wo sie es sagen. Ich habe zumindest schon davon gehört. Was ist mit diesem Hägar?“
„Er ist ein Wikingerkönig.“
Ja und? Musste man diesem Menschen denn jedes Wort einzeln entlocken? Doch ich verbiss mir eine Bemerkung. Man musste seine Bemühungen, leichte Konversation zu machen, schließlich honorieren und so fragte ich geduldig nach: „Und was hat dieser Wikingerkönig mit meinem Namen zu tun?“
„Seine Frau heißt Helga.“
„Aha.“
„Ja. Alle Wikinger haben Angst vor Hägar, aber zu Hause hat Helga die Hosen an. Ich fand sie schon immer ziemlich cool. Sie ist so zynisch.“
„Danke, diese kleine Anekdote baut mich enorm auf. Wenn ich mal wieder wegen meines unmodernen Namens geärgert werde, denke ich einfach daran, dass ich in den Fußstapfen einer emanzipierten Wikingerkönigin mit zynischem Humor wandele.“
Wo wir schon einmal beim Thema Namen waren. Ich beschloss, ihn nun doch auf seine Eltern anzusprechen.
„Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie der Sohn von Bernd und Katharina Schöneberger sind?“
„Ihre Schwester hat es Ihnen erzählt?“
„Woher wissen Sie das?“
„Sie hat mich letztes Jahr auf dem Oktoberfest im Hippodrom interviewt. Unter anderem wollte sie wissen, was ich unter meiner Lederhose trage.“
„Manche Fragen werden ihr vorgegeben“, versuchte ich Fee zu entschuldigen. „Können Sie sich an alle Reporterinnen erinnern, die sie interviewen?“
„Nicht an alle. Nur an die hübschen. Sie sehen Ihrer Schwester gar nicht ähnlich.“
„Danke. Sehr freundlich.“ Ich schaute aus dem Fenster.
„Das sollte keine Beleidigung sein. Sie sehen anders aus als Ihre Schwester, nicht schlechter.“
Ich beschloss, ihm zu glauben. „Haben Sie Geschwister?“
„Nein. Meine Eltern haben gleich beim ersten Versuch ihren Stammhalter gezeugt.“
Lag etwa eine Spur Bitterkeit in seiner Stimme? Wenn ja, ignorierte ich sie. Dieser Mann war mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden. Auf Beschwerden würde ich nicht eingehen.
Also entgegnete ich nur: „Meine Eltern wären ganz neidisch, wenn sie das hören würden. Sie haben es drei Mal versucht und immer nur Mädchen bekommen.“
„Sie haben zwei Schwestern?“
„Drei. Beim letzten Mal waren es Zwillinge.“
Normalerweise war das die Stelle in der Geschichte, an der mein Gesprächspartner mitfühlend aufstöhnte. Doch Nils’ Miene blieb unbeweglich. „Sind Sie die Älteste?“
„Ja, und die Größte. Wenn meine Schwestern und ich nebeneinander stehen, sehen wir aus wie die Orgelpfeifen. Wir sind nach dem Alter gestaffelt. Erst komme ich mit 1,78 m, dann Fee, dann Mia und Lilly, die zehn Minuten nach Mia auf die Welt kam, ist nur 1,65 m.“
Er verzog immer noch keine Miene. Dabei war die Orgelpfeifen-Metapher doch eigentlich ganz witzig gewesen. Wie konnte ich die Atmosphäre in diesem Auto nur auflockern? Irgendwie musste es mir gelingen. Schließlich würden Nils und ich noch mindestens sieben Stunden zusammen in dieser Sardinenbüchse verbringen.
Nur fünf Kilometer weiter löste Nils unser Gesprächsproblem auf seine ganz eigene Weise.
„Da vorne ist ein Parkplatz.“
„Aber wir sind erst eine Stunde unterwegs.“ Auch wenn ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen, so war ich genervt. Erst hatte ich im Flughafen warten müssen, bis Nils sein Döner fertig gegessen hatte, nun wollte er kurz hinter München bereits eine erste Pause einlegen. So würde ich Giuseppe, der bereits jetzt schon einen Vorsprung von einer Stunde hatte, niemals einholen.
Nils bemerkte meinen Unmut. „Tut mir leid, aber ich muss mal.“
Strafend blickte ich ihn an.
Er erwiderte meinen Blick trotzig. „Dringend.“
„Das glaube ich Ihnen nicht. Sie sind schließlich ein Mann. Sie wollen nur eine
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