Aussicht auf Sternschnuppen
wuchs die Situation über den Kopf und ich hustete erneut laut ins Telefon.
„Was hast du gesagt?“
„Ich schick’ sie dir.“ Ich machte das Handy aus und ließ mich auf den Bordstein sinken. Meinen Kopf vergrub ich in den Handflächen. Ich konnte nur hoffen, dass Hans-Dieter sich selbst eine Lösung überlegte, wenn die verlangte Mail niemals bei ihm ankam.
Auf einmal hörte ich hinter mir lautes Klatschen. Ich drehte mich um und sah keine zwei Meter von mir entfernt Nils Schöneberger stehen. Er hatte eine Zigarette in der Hand, auf seinem Gesicht lag ein amüsierter Ausdruck.
„Das war eine ganz tolle schauspielerische Leistung. Sie haben sich angehört, als würden sie dahinscheiden. Hätten Sie die gleiche Nummer eben an der Autovermietung abgezogen, hätte ich Ihnen den Notfall sofort abgekauft.“
Wütend schaute ich ihn an. „Und ich wusste doch, dass Sie Ihren Drang auf die Toilette zu gehen nur als Vorwand benutzen, um eine Zigarette zu rauchen.“
„Sie lenken ab. Für wen war diese oscarreife Vorstellung denn gedacht? Ich habe leider nur noch das Ende mitbekommen.“
„Das geht Sie gar nichts an. Lassen Sie uns weiterfahren! Bei den vielen Zigarettenpausen, die Sie bestimmt noch einlegen werden, sind wir morgen früh sonst immer noch auf deutschem Boden.“
Nils ließ seine Zigarette demonstrativ auf den Boden fallen und trat sie aus.
„Schon fertig.“
„Haben Ihnen Ihre Eltern nicht beigebracht, dass Abfall in den Mülleimer gehört?“ Ich stapfte zum Auto. „Ich fahre.“
Es tat gut, selbst am Steuer zu sitzen, denn es vermittelt mir das Gefühl, die ganze Angelegenheit in die Hand zu nehmen und nicht nur untätig herumzusitzen. Die Fahrt in dem Smart war allerdings, da musste ich Nils Recht geben, alles andere als komfortabel. Obwohl ich den Fahrersitz bis zum Anschlag nach hinten geschoben hatte, befanden sich meine Knie immer noch kurz unter Brusthöhe. Außerdem war die Federung des kleinen Autos recht bescheiden und es ruckelte kaum besser als auf einem Feldweg über die Autobahn. Aber das Schlimmste war, dass der Smart keine Klimaanlage hatte, denn seitdem sich der Regen kurz hinter München gelegt hatte, waren die Temperaturen merklich in die Höhe geschossen. Auch das geöffnete Fenster brachte kaum Abkühlung. Selbst Nils schien es warm geworden zu sein, denn nach unserem Toilettenstopp hatte er seine Lederjacke ausgezogen und gab nun den Blick auf die zahlreichen Tätowierungen auf seinen Oberarmen frei.
Er schlief, zumindest vermutete ich das, denn er hatte auch kein Lebenszeichen von sich gegeben, als ich kurz nach dem Irschenberg anhielt, um uns eine Vignette für Österreich zu kaufen. Aber ganz sicher konnte ich mir nicht sein, da sich seine Augen hinter einer verspiegelten Sonnenbrille verbargen und er Kopfhörer auf den Ohren hatte. Auf jeden Fall hatte er den Sitz nach hinten gedreht und seine schmutzigen Turnschuhe auf das Armaturenbrett gelegt, worüber ich mir jedoch jeglichen Kommentar verkniff.
Warum spielte mir das Schicksal nur so übel mit? Gestern noch hatte ich geglaubt, mein Leben im Griff zu haben. Ich hatte einen gut bezahlten Job, eine schöne Wohnung mitten in München und, nachdem ich jahrelang eine Niete nach der anderen gezogen hatte, war ich mittlerweile schon seit zwei Jahren mit Giuseppe zusammen, einem erfolgreichen Unternehmensberater, der zudem auch noch intelligent, einfühlsam, attraktiv und witzig war. Gut, über letzteres konnte man sich vielleicht streiten …
Bei meinen Schwestern Fee und Mia und auch bei meinem Vater hatte Giuseppe nämlich den Ruf, ein humorloser Langweiler zu sein, was aber überhaupt nicht stimmte. Er bemühte sich nur so sehr, sich in meine, ich versuche es positiv auszudrücken, unkonventionelle Familie einzugliedern, dass er die meiste Zeit tatsächlich etwas verkrampft wirkte. Er hatte es aber auch wirklich nicht leicht. Denn egal, was er machte, es schien nie richtig zu sein. Lediglich Lilly und meine Mutter mochten Giuseppe. Doch darauf konnte ich mir nicht allzu viel einbilden. Denn Lilly mochte jeden. Und bei meiner Mutter rührte ihre Sympathie vor allem daher, dass sie es kaum erwarten konnte, Enkelkinder zu bekommen, und ihr bisher noch keine ihrer Töchter diesen Wunsch erfüllt hatte, obwohl wir alle mittlerweile über dreißig waren.
„Bist du sicher, dass du Oma werden möchtest?“, hatte ich sie gefragt. „Erst letzten Monat hast du gesagt, ich müsse mich jugendlicher anziehen. Mein
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