Aussicht auf Sternschnuppen
Zigarette rauchen.“
Ich schien mit meiner Vermutung Recht zu haben, denn Nils fuhr mit finsterer Miene an dem Parkplatz vorbei.
Ich war überrascht. Anscheinend kam man bei diesem Promisöhnchen mit Strenge weiter als mit Bitten und Betteln. Wahrscheinlich, weil er sonst alles, was er wollte, direkt in den Hintern geblasen bekam. Hätte ich das vor einer Dreiviertelstunde gewusst, dann müsste ich mir jetzt nicht das Auto mit ihm teilen und wäre schon fast in Innsbruck.
Doch seine Sucht schien größer zu sein als meine Autorität, denn eine Viertelstunde später, an der übernächsten Parkplatzausfahrt, fuhr er, ohne mich darauf hinzuweisen, einfach heraus. Schwungvoll hielt er vor einem wenig einladenden grauen Backsteinhaus an.
„Jetzt muss ich aber wirklich.“
Schade! Mein Sieg war nur kurzfristig gewesen.
Nils verschwand in dem Toilettenhäuschen. Und ich beschloss, die Pause zu nutzen, um mich genau der Aufgabe zu stellen, vor der ich mich unmöglich noch länger drücken konnte: Ich musste auf der Landesgeschäftsstelle der SPD München bei meinem Kollegen HDK anrufen, dem einzigen Festangestellten der Filiale, der für alle administrativen Belange zuständig war, um mein Wochenendseminar abzusagen. Er würde die Teilnehmerliste vorliegen haben und die Teilnehmer über den Ausfall informieren können.
Ich hasste es, ihn anzulügen, denn ich mochte ihn wirklich gern, aber ich wollte nicht zugeben, dass ich das Seminar nicht hielt, weil ich Hals über Kopf nach Italien aufgebrochen war, um meinen untreuen Freund zu verfolgen.
Schweren Herzens stieg ich aus und wanderte mit dem Handy am Ohr über den Parkplatz. HDK ging direkt beim zweiten Klingeln ans Telefon.
„Hans-Dieter Köppel.“ Seine Eltern waren ebenso wie meine nicht gnädig mit ihm umgegangen, was die Namenswahl betraf. Hans-Dieter Köppel war nämlich nicht, wie man annehmen sollte, ein stattlicher Mitfünfziger, sondern gerade einmal Mitte Dreißig. Und man bedenke: Auch er war mal ein Baby gewesen …
„Hans-Dieter. Hier ist Helga.“ Ich versuchte meiner Stimme einen kratzigen, belegten Klang zu geben, was mir aber anscheinend nicht recht gelang, denn ein gutgelaunter HDK trompetete vergnügt in den Hörer: „Helga. Was gibt es?“
Ich verdrehte die Augen. Meine Schauspielkünste schienen wirklich höchst bescheiden zu sein. Ich beschloss also, noch eins drauf zu legen und putzte mir erst einmal ausgiebig die Nase, bevor ich weitersprach.
„Ich habe eine furchtbare Sommergrippe erwischt. Mein Hals tut höllisch weh und meine Stimme versagt ständig. Ich werde das Seminar am Wochenende nicht halten können.“ Am Ende des Satzes ließ ich noch ein trockenes Husten folgen.
Stille am anderen Ende der Leitung.
„Hans-Dieter …“
„Helga, ich verstehe dich ganz schlecht. Bist du in einem Funkloch?“
„Nein, ich habe die Sommergrippe“, krächzte ich, so laut ich konnte.
„Du hörst dich so komisch an.“ Seine Stimme klang besorgt.
„Ja, weil ich keine Stimme habe. Und ich fühle mich ganz matt. Ich habe Kopfschmerzen und alles tut mir weh.“ Die letzten Worte hauchte ich nur noch in den Hörer.
„Dann werden wir das Seminar verschieben müssen. So kurzfristig kann sich niemand mehr in das Thema einarbeiten.“
Meine Worte! Erleichtert atmete ich auf.
Doch dann fügte HDK noch hinzu: „Überlege dir bitte einen Ersatztermin und gib den Teilnehmern Bescheid.“
Ach nein! Ich sackte in mich zusammen. Die Liste mit den Namen und Telefonnummern lag nämlich auf meinem Schreibtisch.
Ich ließ ein markerschütterndes Husten hören und flüsterte ins Telefon: „Kannst du das bitte erledigen? Du hörst doch, meine Stimme …“
„Was hast du gesagt?“
„Kannst du bitte den Teilnehmern absagen? … keine Stimme …“
„Tut mir leid. Ich komme vor Montag nicht mehr ins Büro und bin auf dem Weg zu meinen Eltern nach Nürnberg.“
„Und wieso gehst du dann in der Geschäftsstelle ans Telefon?“ Vor lauter Empörung vergaß ich, dass ich eigentlich heiser war.
„Ich habe eine Rufweiterleitung eingerichtet.“ HDK schien es zum Glück nicht aufgefallen zu sein, dass ich kurzzeitig wieder mit normaler Stimme reden konnte. Er überlegte kurz. „Na gut, schick mir die Nummern per E-Mail. Ich erledige das für dich.“
Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen. Aber das war ja gerade das Problem. Die Nummern waren nicht da, wo ich war, und Internetzugang hatte ich im Auto natürlich auch nicht. Mir
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