Aussicht auf Sternschnuppen
geklopft.
„Mein Sohn, biste du verruckte. Uns nicht zu sagen, dass du haste eine so schöne Freundin“, sagte er auf Deutsch. „Wolltest uns wohl überrasche, hä?“
Dann wandte sich Giuseppes Vater an mich.
„Bestimmt wunderste du, dass ich spreche Deutsch. Haste auch gedachte, dass Italiener nur spreche Italienisch.“ Er strahlte mich an.
„Mein Vater hat mit Anfang zwanzig ein paar Jahre als Gastarbeiter in Deutschland verbracht, die letzten beiden Jahre hat auch meine Mutter dort gelebt“, erklärte Giuseppe. „Hatte ich dir das nicht erzählt?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Ja, ware schöne Zeit dort. Habe ich in Frankfurt gewohnte? Kennste du?“
„Haste doch Hunger, oder?“, unterbrach Giuseppes Mutter ihren Mann, nun auch auf Deutsch, und wollte mich schon in Richtung Kuchenbuffet ziehen, als Giuseppe sich einschaltete: „Mama, Helga ist gerade erst angekommen und möchte sich frisch machen. Sie kann nachher etwas essen. Ich zeige ihr jetzt unser Zimmer.“
„Erst esse und dann frische machen. Schau, wie dünn ist sie.“ Sie wandte sich an mich. „Haste doch Hunger?“
Fragend blickte ich Giuseppe an, denn allein der Gedanke, etwas zu essen, löste bei mir Übelkeit aus. Aber ich merkte auch, dass die Augen der meisten Gäste immer noch auf mir und Giuseppe ruhten, und ich hatte Angst, etwas Falsches zu sagen. Wenn sich nämlich tatsächlich alle Italiener über einen Kamm scheren ließen, dann hatte mir Jan Weilers Roman Maria, ihm schmeckt’s nicht deutlich gezeigt, dass die Verweigerung von Nahrungsaufnahme in italienischen Familien als Kriegserklärung angesehen wurde.
Doch dann löste sich mein Gewissenskonflikt in Wohlgefallen auf, denn eine schlanke, dunkelhaarige Frau betrat dicht gefolgt von einem gutaussehenden Mann den Raum und auf ihrem Arm trug sie eine weiße Wolke, in deren Mitte ich ein kleines Neugeborenes ausmachen konnte. Sofort richtete sich die geballte Aufmerksamkeit im Saal auf die junge Familie und auch Giuseppes Eltern wandten sich von uns ab und flitzten auf das Baby zu, das schlafend in einer rüschigen Decke lag und, ähnlich wie ich zuvor, nun von allen Seiten umlagert, geknuddelt und geküsst wurde.
„Come è carino! Che bello! Il piccolo Livio“, erscholl es von allen Seiten und wirklich jeder der umstehenden Gäste strich dem Kleinen über den Kopf und küsste seine Wange oder sein Händchen. Ich selbst hätte als Mutter wohl einen Schreikrampf bekommen, aber das junge Paar stand nur lächelnd da und schaute zu, wie ihr zartes Neugeborenes von allen Seiten mit Bakterien überschüttet wurde.
„Komm mit! Ich muss dir jemanden vorstellen!“, forderte mich Giuseppe auf und zog mich ebenfalls in Richtung Baby. „Angela!“, rief er und umarmte die dunkelhaarige Frau. Sie strahlte, als sie Giuseppe sah und erwiderte seine Umarmung. „Giuseppe!“ Dann fiel ihr Blick auf mich und sie hob fragend eine Augenbraue.
„Das ist meine Freundin Helga“, sagte Giuseppe.
Angela lächelte mich an und hielt mir die Hand entgegen. „Mi chiamo Angela e lei è Ernesto“, stellte sie sich vor. Auch Angelas Mann Ernesto reichte mir die Hand. Er sah unglaublich gut aus, wie einer Parfüm-Werbung entsprungen.
„Und das ist Nevio. Mein Patenkind“, erklärte Giuseppe stolz. „Der erste männliche Nachkomme in unserer Familie seit zehn Jahren.“ Er nahm den Kleinen seiner Mutter aus dem Arm und hielt ihn vor sich. „Er wird bestimmt einmal ein ganz prächtiger und starker Junge werden.“
Der stolze Stammhalter hing derweil, von der ganzen Aufmerksamkeit um seine Person unbeeindruckt, schlafend in Giuseppes Händen und sah alles andere als männlich aus. Er trug einen hellblauen Nickistrampler mit einem üppigen weißen Spitzenkragen und – ich musste mir das Lachen verkneifen – an seinem Handgelenk baumelte bereits das obligatorische Goldarmband.
„Möchtest du ihn nehmen?“, fragte Giuseppe.
Gerührt blickte ich auf das Neugeborene herunter. Es hatte bereits unglaublich viele dichte Haare und unter der Decke schaute eine winzige kleine Hand mit perfekt geformten Fingernägeln hervor. Zart strich ich mit dem Zeigefinger darüber. Giuseppe stand lächelnd hinter mir.
„Du magste Kinder?“, fragte mich Giuseppes Mutter Carla und schnappte sich den schlafenden Nevio.
Ich nickte.
„Dann iche werde vielleicht bald Nonna.“ Sie strahlte. „Musste du nenne Salvatore, wenn es ein Junge wird. Alle Männer in der Familie heißen Salvatore. Giuseppe
Weitere Kostenlose Bücher