Aussicht auf Sternschnuppen
Sie war klein, zierlich und anschmiegsam. Und angeblich war er glücklich mit ihr. Das erzählte er mir zumindest zwei Wochen nach unserer Trennung, als ich unter dem fadenscheinigen Vorwand bei ihm anrief, eine Hose bei ihm vergessen zu haben.
Obwohl ich versuchte, mir einzureden, dass eine kaputte Persönlichkeit wie Olli sich niemals ändern würde und ich im Grunde genommen auch mehr als erleichtert darüber war, ihn los zu sein, nagte seit diesem Telefonat immer ein leiser Zweifel an mir, dass diese Nathalie vielleicht doch das erreicht hatte, was mir nicht gelungen war.
Erst nachdem ich mehrere Monate mit Giuseppe zusammen war, stellte ich überrascht fest, dass ich nicht mehr bei jedem tieferen Atemzug von ihm zusammenzuckte, aus Angst vor einer Gemeinheit.
Noch einmal blickte ich auf den Ring an meiner Hand und zog ihn mir dann vom Finger. Giuseppe hatte Besseres verdient als eine Frau, die nur mit ihm zusammen war, weil er sie gut behandelte.
Leise schlich ich wieder in unser Hotelzimmer zurück.
„Giuseppe!“ Ich strich ihm die feuchten Locken aus der Stirn. „Bitte wach auf!“
Giuseppe öffnete verschlafen die Augen und setzte sich verwirrt nach oben. Ich legte den Ring vor ihn auf die Bettdecke.
„Ich kann dich nicht heiraten. Es tut mir leid!“
„Das Leben ist zu kurz, um sich mit halben Sachen zufrieden zu geben.“ Lydias Stimme klang in meinen Ohren, als ich im Taxi nach Vinci saß, und bestärkte mich darin, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Leider ließ sich sein trauriger, etwas verwirrter Hundeblick genauso wenig aus meinen Gedanken löschen wie das beschämende Szenario, das Giuseppe wohl beim Frühstück erwarten würde, wenn er seinen Eltern und den übrigen Gästen erzählte, dass seine Braut sich nicht getraut hatte und auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Außerdem erinnerte mich mein Taxifahrer in irritierender Weise an Silvio Berlusconi.
„Wo soll ich Sie herauslassen?“, fragte er in perfektem Oxford-Englisch, als wir das Ortsschild von Vinci passiert hatten.
Ich hatte schlichtweg keine Ahnung. Und so drückte ich ihm zwanzig Euro in die Hand und stieg aus.
Es war erst halb acht und die Straßen waren noch menschenleer. Lediglich eine rotgetigerte Katze strich mir um die Beine, als ich mich orientierungslos umschaute. Ich stand am Rand einer sternförmigen Kreuzung. Rechts von mir lag die Straße, aus der ich gekommen war, zwei andere Straßen sahen aus, als ob sie in Wohngebiete führten, aber der steil ansteigende Weg vor mir schien der direkte Weg ins Zentrum von Vinci zu sein.
Und tatsächlich! Knapp zehn Fußminuten später stand ich vor einer überdimensionalen Skulptur von Leonardos vitruvianischen Menschen und betrachtete das langgestreckte Castello, in dem das Lebenswerk des toskanischen Künstlers besichtigt werden konnte. Noch immer war ich keiner Menschenseele begegnet, die ich nach den führenden Hotels in Vinci hätte fragen können. Denn auch wenn ich den Namen des Hotels nicht kannte, in dem Nils und seine Schauspielkollegen abgestiegen waren, so nahm ich doch an, dass es kein einfaches Drei-Sterne-Haus sein würde. Irgendwann würde schon jemand auftauchen. Ich hatte es nicht eilig.
Langsam schlenderte ich an der Steinmauer des Castellos entlang und ließ meinen Blick über die Olivenhaine gleiten, von denen ganz Vinci eingerahmt schien. Eine Kirchturmuhr schlug acht Mal. Sie hatte einen tiefen, vollen Klang und neugierig ging ich dem Geräusch der Glocken nach. Sie führten mich zu einer kleinen romanischen Kirche. Ich drückte die Klinke des Eingangsportals nach unten und zu meiner großen Überraschung ließ sie sich öffnen. In München, aber auch in Marzling, wo meine Eltern wohnten, waren die kleineren Kirchen außer zu Messezeiten meist abgeschlossen. Das Innere der Kirche war winzig, aber freundlich. Durch die bunten Fenster fiel die Sonne herein und malte ein abstraktes Muster auf den Steinfußboden. Ein Hauch von Weihrauch lag in der Luft. Ich ließ meinen Blick umherschweifen und wurde unweigerlich von den schlanken, weißen Kerzen neben dem Opferstock angezogen. Nachdenklich beobachtet ich einige Augenblicke das ruhige Spiel der Flammen. Wie viele unerfüllte Träume mochten wohl in diesen stillen Hallen gefangen gehalten werden? Ich zündete eine Kerze für Giuseppe an und wünschte ihm, dass er eine Frau für seinen Ring finden würde, eine, die ihn mehr verdient hatte als ich. Dann verließ ich die Kirche.
In einer
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