Australien 01 - Wo der Wind singt
nicht so meinte. Dennoch waren seine Worte für sie wie ein Schlag ins Gesicht. Eine eiskalte Zurückweisung. Genau das hatte sie auch von ihm erwartet, oder etwa nicht? Diesen endgültigen Bruch zwischen ihm und ihr.
Sie knallte den Hörer auf die Gabel und rannte zu ihrem Wagen zurück. Sheilas Kopf im Schoß, fuhr Kate dann in ihrem Pick-up auf der Straße zwischen der Port Philip Bay und den wie eine Steilklippe aufragenden Wolkenkratzern an der Stadt entlang. Sie wusste einfach nicht, was sie tun sollte. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass ihre Mutter bei ihr wäre. Hier und jetzt.
Dann saß sie eine ganze Stunde lang in ihrem Auto, streichelte Sheilas seidige Ohren und dachte dabei an den winzigen Zellhaufen, der sich in ihr zu teilen begonnen hatte. Sie konnte in ein Krankenhaus gehen. Eine Abtreibung machen lassen und dann mit ihrem Studium beginnen. Das Leben würde einfach weitergehen, als wäre nichts geschehen. Dann aber dachte sie an ihre Mutter. An das Saatgut, das auf dem Dachboden zu Hause auf Bronty lagerte. Sie hatte wieder vor Augen, wie Laney die Samen in ihre Handfläche geschüttet und mit den Fingerspitzen darin herumgerührt hatte.
»Das Leben in diesen Samen«, pflegte Laney zu sagen, während sie ihre Kinder mit großen Augen ansah, »ist ein unvorstellbares Wunder. «
Auch Henrys Mutter, seine Großmutter und seine Urgroßmutter hatten schon Saatgut gesammelt. Jede Generation von Frauen hatte die Samen sorgfältig katalogisiert und unter dem schrägen Dach des Raumes in wunderschön gezimmerten hölzernen Schubladen aufbewahrt.
Samen von gesunden, widerstandfähigen Gemüsesorten, die schon seit den ersten Tagen der Besiedelung angebaut und gesammelt worden waren. Sorgfältig aufbewahrt in vergilbten Papierumschlägen, auf denen sich die winzigen Spuren hungriger Silberfischchen mit den schwungvollen Handschriften dreier Generationen von Webster-Frauen vermischten. Da gab es winzige schwarze Pünktchen, aber auch glatte, runde Kügelchen. Unter den Samen aus dem weitläufigen Kolonialgarten von Bronty waren so gut wie alle Formen und Größen vertreten.
Als Kate ungefähr zehn Jahre alt gewesen war, hatte ihr ihre Mutter, während sie die winzigen, schwarzen Samenkörner, von denen einige nicht größer als Fliegendreck waren, betrachtet hatte, eine Geschichte erzählt.
»Deine Großmutter wünschte sich so sehr einen Bruder oder eine Schwester für deinen Dad«, hatte Laney gesagt. »Aber wir Frauen bekommen manchmal kein Baby, obwohl wir gern eines hätten. Im Leben dreht sich alles um gesunde Samen und darum, dass man einen gesunden Boden braucht, damit sie darin wachsen können. Mit den Babys ist das ganz genauso – ohne gesunden Samen und ohne einen gesunden Schoß kann man kein Baby bekommen. Genau deshalb hast du weder Onkel noch Tanten. Gott hat deiner Großmutter nur einen einzigen gesunden Samen geschenkt, und dieser kostbare Samen war dein Dad. Schau nur, was für ein prächtiger Baum aus ihm geworden ist.«
Kate erinnerte sich auch daran, dass ihre Mutter ihnen im Gemüsegarten von Bronty einmal die Ranke einer Stangenbohne gezeigt hatte, die begonnen hatte, sich an der schiefen Vogelscheuche hinaufzuwinden, die Kate und Will aufgestellt hatten. Sie erinnerte sich daran, dass sie ihre Kinder stets ermutigt hatte, ihre weißen Zähne in Zuckererbsen zu graben und so viele Erdbeeren zu essen wie sie wollten, jedenfalls so lange, bis Wills von Natur aus rosa glänzende Wangen von einem Nesselausschlag überzogen wurden.
Kate wusste, was ihre Mutter zu der Sache mit dem Baby sagen würde. Sie würde ihr sagen, dass sie diesen Samen wachsen lassen
sollte, dass sie Leben schenken sollte, für den Fall, dass in ihrem Schoß keine weiteren Samen mehr wachsen würden. Dies war möglicherweise die einzige Schwangerschaft, die sie erleben würde.
Entschlossen setzte Kate sich jetzt aufrecht hin. Dann legte sie ihre Hand auf ihren noch flachen Bauch und hatte dabei das Gefühl, als wäre ein Teil von ihrer Mutter jetzt auch in diesem Baby, das in ihr wuchs. Dann ließ sie den Motor ihres alten Pick-ups an und machte sich auf den Weg nach New South Wales.
Kapitel 3
E s hatte zu nieseln begonnen. Kate saß am Lenkrad des Pick-ups, die Scheibenwischer fuhren mit einem ächzenden Geräusch über die Windschutzscheibe. Nell ahmte mit ihrem Kopf die stetige Bewegung nach. Kate begann vor sich hin zu schimpfen, als die Ampel vor ihnen auf Rot sprang. Sie war wütend auf sich
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