Australien 01 - Wo der Wind singt
Perserteppichs an.
»Er wollte, dass ich bleibe, nicht wahr?«, sagte Kate.
»Ja«, antwortete ihr Vater. »Das wollte er.«
»Also gut. Wir bleiben.«
Ihr Vater nickte schweigend.
Kate lächelte ihn traurig an, bevor sie sich umdrehte, um wieder in Annabelles Welt zurückzukehren.
Später, nachdem sie alle gemeinsam in der Küche von Bronty zu Abend gegessen hatten, zog Henry seinen dicken Wollmantel an.
»Ich gehe noch kurz raus, und schaue nach der Bewässerungsanlage. Es war bereits nach zehn Uhr, und Annabelle räumte gerade die letzten Schüsseln vom Tisch. Amy hatte es sich schon auf dem Sitzsack bequem gemacht. Über den Fernsehschirm zuckten goldene Flammen und purpurfarbene Wirbel, als Amys computergenerierte Princess-Warrior-Drachen abschlachtete und schwerfällige Riesen pulverisierte. Ihren iPod in den Ohren, ächzte Amy vor Konzentration und Anstrengung, als sie das Steuergerät auf die Blackbox richtete. Irgendwo im Haus hörte Kate das hämmernde Duff-duff von Adens Musik, das von seiner geschlossenen Zimmertür nur höchst unzulänglich gedämpft wurde.
Heute Abend beim Essen hatte Kate oft versucht, sich vorzustellen, wie es gewesen wäre, wenn ihre Mutter und Will mit am Tisch gesessen hätten. Sie ärgerte sich über den störenden Fernseher, der im Hintergrund lief. Ihr war jedoch bewusst, dass ihr Vater ihn nur deshalb eingeschaltet hatte, um von dem unangenehmen, schmerzlichen Schweigen zwischen ihnen abzulenken. Es hatte überhaupt etwas sehr Merkwürdiges an sich gehabt, Nell in einem Kindersitz am Tisch sitzen zu sehen, vor sich hin plappernd und Kartoffelbrei in ihren Mund schaufelnd. Annabelle, die freundlich, aber akribisch ihre Tischmanieren korrigiert und Smalltalk gemacht hatte. Kate hatte gespürt, wie der Kummer wieder in ihr aufwallte und ihr den Appetit nahm. Ihr war
aufgefallen, dass Annabelle Nells Stuhl auf Wills Platz gestellt hatte. Sie hatte auch beobachtet, wie der Blick ihres Vaters immer wieder von Nell zum tröstlichen Fernseher gewanderte war, wo gerade die Nachrichten liefen. Die plötzliche Veränderung der Umstände – Will war nicht mehr da, dafür saß sein Enkelkind an seinem Platz – war offensichtlich zu viel für ihn.
Kate erinnerte sich an ihre eigene Kindheit an ebendiesem Tisch. Beim Essen fernzusehen, das hätte es, als Laney noch lebte, bei ihnen nicht gegeben. Kates Eltern hatten schon sehr früh gewisse Regeln aufgestellt, jedenfalls was das gemeinsame Essen und das Fernsehen anging.
»Menschen, die sagen, sie würden sich langweilen, sind selbst die größten Langweiler«, hörte Kate die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf sagen. Laney hatte stets darauf geachtet, dass sich Will und Kate auch selbst beschäftigen konnten. Es hatte in ihrem Leben ohnehin nur wenig Zeit und Gelegenheit zum Fernsehen gegeben. Sie waren so gut wie immer draußen im Freien gewesen. Hatten am Bach gespielt, wenn dieser munter dahinplätscherte, weil es vor Kurzem geregnet hatte. Hatten kleine Boote aus Blättern über die Steine schwimmen lassen, während sie ihnen am Bachufer entlang über Salbeisträucher und Grasbüschel jubelnd, schlitternd und lachend nachgesprungen waren.
Wenn der Bach ausgetrocknet war, hatten sie viele Stunden damit verbracht, mit ihren verbeulten, von der Sonne ausgeblichenen Baggern im Bachbett zu graben und den Schlamm zu kleinen Dämmen aufzuhäufen, während sie auf Regen gehofft hatten. Regen, damit ihr Vater sich keine Sorgen mehr zu machen brauchte und damit ihre Mutter pfiff und trällerte wie Fred Astaire.
Kate konnte sich nicht daran erinnern, jemals viel im Haus herumgesessen zu haben. Bevor sie wirklich ihre Freizeit genießen konnte, hatte es immer viel zu erledigen gegeben. Sie hörte wieder das Krachen und die dumpfen Schläge, wenn sie mit der Axt Feuerholz gespalten hatte. Dachte an die Hühner, die alles aufpickten, was aus dem vollen Eimer mit den Küchenabfällen auf den Boden fiel. An die
Hütehunde, die sie so oft von der Kette gelassen hatte, damit sie miteinander spielen konnten, während sie und Will die wiehernden Pferde mit Heu versorgten. Es musste die Wäsche von der Leine genommen werden, der Rasen kontrolliert werden, bevor er verwilderte, die Spritzpistolen mussten gereinigt und die Schuhe ihres Vaters geputzt werden. Im Gemüsegarten ihrer Mutter hatten sie gemeinsam Unkraut gejätet und Pflanzen gesät, hatten Samen auf Trockengestellen ausgelegt und dann in Umschläge gefüllt und diese schließlich
Weitere Kostenlose Bücher