Australien 01 - Wo der Wind singt
Kate. Nellie lag in dem Wald von Stuhlbeinen unter dem Küchentisch und schob müde ihr Spielzeugauto, einen Viehtransporter, hin und her. Sie hatte ihre Babypuppe auf den Transporter gesetzt, so als würde sich die Puppe auf eine letzte Reise zu irgendeinem gespenstischen Schlachthof machen.
Dave hatte es sich auf einem Sitzsack im Fernsehzimmer, das gleich neben der Küche lag, bequem gemacht. In jedem seiner Arme hielt er einen schlafenden Zwilling, so als würde er eine Brut junger Vögel in einem riesigen Nest hüten. Im Fernseher lief eine Quiz-Show.
»Sie ist wirklich ein süßes, kleines Ding. Sehr artig«, sagte Annabelle gerade und deutete mit dem Kopf in Nells Richtung, ohne zu merken, dass Kate hinter ihr in der Tür stand. »So wie sie aufgewachsen ist, ist das wirklich ein Wunder.«
»M-hmm«, antwortete Janie ihr vorsichtig.
»Hat Kate eigentlich gesagt, wann sie zurück sein wollte? Sie macht sich inzwischen doch sicher Sorgen um Nell.«
»Nein. Das hat sie nicht«, sagte Janie, während sie den Geschirrkorb in die Maschine schob.
»Weißt du, wo sie heute übernachten will? Ich muss mich jetzt nämlich gleich ums Abendessen kümmern. Und ich muss noch überlegen, wie ich das mit den Betten mache.«
»Äm, keine Ahnung. Aber ich denke, dass sie bald wieder zurück ist. Spätestens, wenn es dunkel ist.« Janie hielt eine Teekanne mit Rosenmuster hoch. »Wo kommt die hin?«
»Ins Sideboard im Fernsehzimmer. Danke, Jane.« Kate sah Janie dabei zu, wie sie die Kanne vorsichtig ins Fernsehzimmer trug. Sie bückte sich vor dem Sideboard, auf dem zwei Fotos standen. Eines zeigte Amy mit Zahnspange und eines Aden mit längeren, welligen Haaren. Er sah aus wie ein typischer amerikanischer Teenager auf dem Weg zu einem Highschool-Ball.
»Danke, dass du noch geblieben bist, um mir zu helfen, Jane«, rief Annabelle aus der Küche.
»Keine Ursache«, antwortete ihr Janie. Als sie sich umdrehte, sah sie Kate in der Küchentür stehen. Sie winkte ihr kurz zu. Annabelle folgte Janies Blick und zog dabei ihre Gummihandschuhe aus.
»Ah, Kate, da bist du ja! Wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht. Nellie Schätzchen, deine Mami ist endlich nach Hause gekommen. Willkommen, Kate. Herzlich willkommen. Komm rein, Liebes.« Nell hörte kurz zu brummen auf, sagte leise hallo und spielte dann mit ihrem Viehtransporter weiter.
»Sie ist sehr müde«, sagte Janie. »Dave hat wohl einen Wiggle-Safari-Tanz zu viel mit ihr getanzt.«
Kate, die sich nicht sicher war, was sie jetzt tun sollte, ließ sich auf Hände und Knie nieder und kroch unter den Tisch, um Nell einen Kuss auf die Stirn zu geben und ihre Wange an ihren warmen Kopf zu drücken.
»Hallo, mein Liebling«, sagte sie, wieder war da dieses innige Gefühl der Verbundenheit.
Kates Gedanken kehrten zu jener Zeit zurück, als Nell ein paar Wochen alt gewesen war. Es war das erste Mal gewesen, dass Kate eine
so starke Zuneigung – Freude und Angst zugleich – für das Baby in ihren Armen empfunden hatte. Es war drei Uhr morgens gewesen, und Nell hatte leise schnaufende Geräusche von sich gegeben, während sie an Kates Brust trank. Kate hatte in Nells vollkommenes, kleines Gesicht gesehen. Hatte ihre winzigen puppenhaften Hände betrachtet, die sich selig zu Fäusten ballten und wieder öffneten so wie bei einem Kätzchen, das seine Pfoten knetet. Kate war über dieses Gefühl allmächtiger Liebe zutiefst erstaunt gewesen. Das musste die Liebe einer Mutter sein.
Jetzt wünschte sie nichts anderes, als Nell noch einmal genau so in ihren Armen zu halten. Sie lächelte ihre Tochter an und musste dabei all ihre Kraft aufbieten, um nicht in Tränen auszubrechen.
»Alles in Ordnung, kleine Nellie?«, flüsterte sie.
»Können wir jetzt nach Hause gehen, Mami?«
Kate strich Nell sanft über die Haare. Nach Hause? Kate konnte beim besten Willen nicht mehr sagen, wo das war. Ob sie sich wohl jemals wieder auf Bronty zu Hause fühlen würde.
»Klar können wir das. Aber zuerst muss Mami noch herausfinden, wo das ist.« Sie küsste Nell noch einmal auf den Scheitel und kroch dann wieder unter dem Tisch hervor.
»Danke, dass du auf sie aufgepasst hast«, sagte Kate zu Janie und drückte kurz ihren Arm.
»Kein Problem. Sie ist gut zu haben. Ein richtiger kleiner Schatz.«
Kate drehte sich zu Annabelle um.
»Wo ist Dad?«
»Ich glaube, er ist im Büro. Er muss in diesem ganzen Chaos auch noch die Schafschur organisieren, der arme Mann. Aber so ist es eben
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