Australien 01 - Wo der Wind singt
nicht gerade ihren Kopf über ihre Bücher gebeugt oder ihren schwangeren Leib hinter einem der großen Tische in der Universitätsbibliothek versteckt hatte, war Kate draußen auf der Weide gewesen, wo sie verzweifelt versucht hatte, sich die Koppeln ihres Zuhauses vorzustellen. Sie hatte, nur um aus dem Haus zu kommen, ihrer Tante Maureen und ihrem Onkel Tony angeboten, jeden Morgen und jeden Abend nach den Mutterschafen und Lämmern zu sehen.
Während sie ihren ungewohnt schweren Körper mühsam durch die Drähte des Zaunes gezwängt hatte, hatte Kate festgestellt, dass sich der Schwerpunkt mit jedem Tag ein wenig mehr verlagerte. Trotz ihrer kräftigen Beine, hatte sie, wenn sie die Hügel hinaufgestiegen war, feststellen müssen, dass sie das jeden Tag etwas mehr Kraft gekostet hatte. Sie hatte gespürt, wie ihr der Atem in der Brust stockte. Sie war sich dabei nicht sicher gewesen, ob es an dem wachsenden Baby oder an der Panik lag, die es ihr so schwermachten, Luft in ihre Lunge zu bekommen.
Eines sehr düsteren Tages, als die Wolken die schnurgeraden Reihen von Weinstöcken am Hang zu berühren schienen, hatte sich Kate auf die kalte Weide gesetzt und ihren Kopf in die Hände gestützt. Schwanger. Mit zwanzig. In diesem merkwürdigen Land. Voller Sehnsucht nach zu Hause. Nach ihrer Mutter. Ihrem alten Leben. Ihrer Insel. Nein, so war das alles nicht vorgesehen gewesen.
Hier auf den Tablelands von New South Wales vermisste sie den Blick auf die unruhigen Wasser der Bass Strait. Da war kein Seewind, der ihr die salzige Frische von zu Hause gebracht hätte. Nur wogende, nackte Hügel und schmutzige waldige Flecken, die im Sommer in der Hitze dösten und im Winter im Nebel schmollten. Sie verglich diese Landschaft ständig mit dem wilden Gestrüpp, das sich an die windgepeitschten Hügel der Farm ihres Vaters an der Ostküste Tasmaniens klammerte.
Von dort, wo Kate gesessen hatte, hatte sie in der Ferne am gegenüberliegenden Hang einen grauen Fleck gesehen, der ein Baumstumpf oder ein Felsbrocken hätte sein können. Sie hatte jedoch instinktiv gewusst, dass dies eines der Mutterschafe ihres Onkels war und dass das alte Mädchen mit seinem runden Bauch auf der Seite lag, während seine Hufe in die Luft ragten. Es versuchte angestrengt, das Lamm aus seinen weichen, rosa Hautfalten herauszupressen. Kate hatte allein schon bei diesem Gedanken würgen müssen. Als sie aufgestanden und zu dem Schaf hinübergelaufen war, hatte die morgendliche Übelkeit, an der sie litt, sie wie eine Welle überspült. Die morgendliche Übelkeit, von der der Doktor gesagt hatte, dass sie nach der dreizehnten Woche verschwinden würde. Eine Übelkeit, die sie zusammen mit dem Sodbrennen, den Ausschlägen, den Gelenkschmerzen und dem heftigen Juckreiz auf ihrer Haut ohne Klagen ertragen hatte. Aber auch jetzt noch musste sie beim Anblick der Schäferhunde, die zwischen den hohen Grasbüscheln ihren Kot absetzten, würgen … Selbst wenn sie nur an deren schleimige Exkremente dachte, wurde ihr schlecht.
Nachdem sie sich unbeholfen hinter dem Mutterschaf niedergekniet hatte, hatte sie ihre Hand in seinen Leib geschoben und gehofft, kleine Hufe zu ertasten. Keinen Kopf und auch keinen Schwanz. Als sie
dann endlich die winzigen, knochigen schwarzen Hufe zu fassen bekommen hatte, hatte sie dem Mutterschaf ein paar beruhigende Worte zugemurmelt und dann mit einem Ruck kräftig angezogen. Das Schaf hatte ein ersticktes Blöken ausgestoßen, als der Schmerz durch seinen Körper fuhr, und kurz mit den Beinen gezuckt. Kate hatte weitergezogen, und schon bald waren der Kopf und die Schultern des Lammes zu sehen gewesen, nass und noch von der Fruchtblase umgeben. Das Lamm war so groß, dass es die Hüften und die Vagina des Mutterschafs auseinanderzureißen schien.
Großer Gott, genau so wird es mir auch bald ergehen, hatte Kate gedacht, als sie noch einmal kräftig angezogen hatte. Sie hatte gehört, wie das Schaf ächzte, und gesehen, wie der Schock seine gelben Augen glasig werden ließ. Das Lamm war herausgerutscht. Es war tot. Sein in die Länge gezogener Kopf hatte in der durchsichtigen Fruchtblase seltsam grotesk gewirkt. Die Zunge, die ihm aus dem Maul hing, war blau angelaufen gewesen. Sein Körper, noch immer nass und warm, war mit gelbem Schleim und Blut bedeckt gewesen. Dampf war von dem toten Tier in die klare Morgenluft aufgestiegen und hatte sich mit dem Gestank faulen Fleisches vermischt. Das Lamm war offensichtlich schon vor
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