Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
Vom Netzwerk:
weiterbewegen sollte.

ZWEITER TEIL
DER ASTRONOM


    Beginne so, wie du auch weiterzumachen gedenkst , hatte ihm sein Vater immer gesagt, und so bemühte sich Rooke, an Bord der Sirius unübersehbar als Astronom wahrgenommen zu werden. Er brauchte dabei gar nichts vorzutäuschen. Bis er seine Messungen mit dem Sextanten gemacht, die Daten mit denen von Kapitän Barton und Leutnant Gardiner verglichen und den Durchschnitt errechnet hatte, war vom Nachmittag schon ein beträchtlicher Teil verstrichen. Dann ging es an die Berechnung von Längen- und Breitengrad.
    Barton, dem Kapitän des Flaggschiffs der Flotte, war dieser junge Soldat, der sich einbildete, er könne navigieren, zunächst ein Dorn im Auge. Wegen seines beängstigend strengen Blicks rechnete Rooke jeden Augenblick damit, wie ein Scharlatan vom Quarterdeck verwiesen zu werden. Doch unter Bartons rauer Schale steckte eine gutmütige Seele, und als er Rookes Talente erkannte, verzieh er ihm, dass er Leutnant bei der Marineinfanterie und nicht bei der Royal Navy war.
    Leutnant Gardiner war seit über drei Jahren Bartons rechte Hand und der Offizier, der bislang stets für die zweite Messung und Überprüfung der Ergebnisse des Kapitäns zuständig gewesen war. Ein anderer Mann an Gardiners Stelle hätte vielleicht Groll gegen Rooke gehegt, doch bei Gardiner, einem strammen, sonnengebräunten Seemann, war nicht nur die Statur großzügig bemessen, sondern auch das Herz.
    Bei ihrer ersten Begegnung hielt er Rookes Hand mit kräftigem Griff umschlossen und sah ihm fest in die Augen. »Willkommen, Mr. Rooke. Jetzt, wo wir diese Arbeit zu dritt machen, kommt einem der Ozean fast vor wie eine schnurgerade königliche Allee.«
    Die Beine auf den Decksboden des schwankenden Schiffs gestemmt, blinzelten die Männer in ihre Sextanten. Die Messwerte, die sie bei ihren Peilungen ermittelten, stimmten mit denen der anderen nie ganz überein. Das lag in der Natur der Sache. Doch im Gegensatz zu den Navigatoren, die Rooke auf der Resolution erlebt hatte, klammerten sich Barton und Gardiner nicht kleinmütig an ihre Ergebnisse, als wären die Zahlen auf einem Stück Messing ein Maßstab für ihre Männlichkeit. Gardiner liebäugelte mit der abwechselnd hinter einer Wolke auftauchenden und verschwindenden Sonne, rief ihr zu, nur nicht so schüchtern, meine Schöne, lass dich ruhig sehen! Barton gegenüber räumte er freimütig ein, dass Rooke sie mit seiner ruhigen Hand und seinem ruhigen Auge bezirzt habe. Sie ist eine kleine Schäkerin, Sir, und heute bevorzugt sie eindeutig Mr. Rooke .
    Rooke war an Bord des Flaggschiffs, Silk hingegen auf der Charlotte am hinteren Ende der aus elf Schiffen bestehenden Flotte. Folglich sah ihn Rooke nur dann, wenn die Schiffe auf dem Weg nach Süden einen Hafen anliefen.
    »So ein Pech«, sagte Silk, als sie sich auf dem Kai in Rio trafen.
    »Wirklich schade«, pflichtete Rooke ihm bei und behielt für sich, dass ihm die offene Art der Männer der Kriegsmarine sehr behagte, auch wenn sie nicht so sehr auf geschliffene Formulierungen achteten.
    Silk zog ein abgegriffenes Notizbuch hervor.
    »Ich habe mit meiner Schilderung begonnen, Rooke. Hör dir das mal an, es ist eine Anspielung auf Kapitän Cooks Bericht, wie ihm die jungen Damen in diesem Hafen Blumensträuße zuwarfen. Zu unserer großen Betrübnis waren wir so glücklos, Abend für Abend vor ihren Balkonen auf und ab zu schreiten, ohne mit einem einzigen Sträußchen bedacht zu werden, obwohl Nymphen und Blumen gleichermaßen in großem Überfluss vorhanden waren . Jetzt sag mir bitte ganz offen als Freund, wie du das findest, Rooke.«
    »Sehr klug, sehr elegant formuliert«, entgegnete Rooke. »Aber bist du dort wirklich jeden Abend auf und ab geschritten?«
    »Ach, Rooke, unser Mann der Wissenschaft! Nennen wir es dichterische Freiheit, mein Freund.«
    Die Vorstellung, die reale Welt für nichts weiter als Rohmaterial anzusehen, war Rooke völlig fremd. Seine Stärken waren das Messen, das Berechnen und das logische Ableiten. Silks Stärken hingegen waren das Feilen und das Ausschmücken, bis aus einem Kiesel ein Edelstein geworden war.
    ✳
    Kapitän Barton bestimmte den Kurs der Flotte, doch über Barton stand noch der Kommodore, in dessen Händen alle Entscheidungen letztendlich lagen. An James Gilberts schmächtiger Gestalt war alles irgendwie eckig und krumm, beide Ellbogen und beide Schultern in unterschiedlicher Höhe. Mit vorsichtigen Schritten tappte er über das

Weitere Kostenlose Bücher