Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
Vom Netzwerk:
schwankende Deck, den dünnen Körper stets in leichter Schräglage, dazu einen leidenden Gesichtsausdruck. An Bord der Sirius sah Rooke den Mund des Kommodore kein einziges Mal zu mehr als einem höflichen Lächeln verzogen.
    Vielleicht war die Leidensmiene des Kommodore ja auf die Schmerzen in seiner Seite zurückzuführen, nicht auf sein Naturell. Sie sind immer da, mal stärker, mal schwächer , hatte ihnen der Schiffsarzt in der Offiziersmesse gesagt. Die Nieren, vermute ich, vielleicht aber auch die Gallenblase. Schiffsarzt Weymark, ein hochgewachsener Mann, lachte und tafelte gerne und trug seinen mächtigen Bauch wie eine Galionsfigur vor sich her; trotz seiner burschikosen Art konnte er aber durchaus auch Mitgefühl empfinden. Um die Schmerzen des Kommodore zu vertreiben, probierte er an ihm jedes Mittelchen aus und brachte jeden Morgen eine Stunde damit zu, ihn zur Ader zu lassen, zu schröpfen und seine Seite abzutasten. Dass alles wirkungslos blieb, bekümmerte ihn sehr.
    Wenn der Kommodore zu seinen Offizieren aufs Quarterdeck kam, verstummte Gardiner sofort, und Barton setzte schlagartig eine ernste, professionelle Miene auf. Rooke erinnerte sich zwar noch gut daran, wie sich Dauerschmerzen auf den Gesichtsausdruck auswirkten, aber James Gilbert blieb trotzdem ein Mensch, mit dem man nur schwer warm werden konnte, weil er nichts von dem preisgab, was in ihm vorging.
    Während der monatelangen Seereise stiegen der Kommodore und der Kapitän, respektvoll gefolgt von Rooke in seiner Eigenschaft als Astronom, täglich zur Mittagszeit gemeinsam die schmalen, steilen Leitern hinunter in den Bauch des Schiffs. Dort befand sich eine Kajüte, vor der rund um die Uhr ein Wachposten stand. Während die Männer auf ihn zuschritten, trat der Wachposten zur Seite, um sie in den einzigen Ort in diesem überfüllten Schiff einzulassen, der nicht mit Säcken und Fässern, Stapeln und Bündeln vollgestellt war. In dieser Kajüte stand nichts als ein am Boden festgeschraubter Tisch mit einem darauf festgeschraubten Holzkasten, in dem zwischen zwei roten Samtkissen ein Schiffschronometer des Uhrmachers Larcum Kendall lag.
    Geschützt wie eine Erbse in der Schote, sollte dieser Behälter mit Greenwicher Zeit mit ihnen um den ganzen Globus reisen. War in New South Wales tiefste Nacht, zeigte das Chronometer die Mittagsstunde in Greenwich an.
    Von der Funktionsweise her war Kendalls Zeitmesser der Nachkomme des langsam seine Schwingarme bewegenden Messinginsekts, das Dr. Vickery dem jungen Rooke gezeigt hatte. Der Form nach sah er jedoch wie eine überdimensionale Taschenuhr von der Größe eines Suppentellers aus. Rooke hielt es für einen witzigen Einfall des Uhrmachers, ein solch gigantisches, wie für eine riesenhafte Westentasche bestimmtes Gerät angefertigt zu haben.
    Während Barton und Rooke sich dicht neben ihn stellten, falls das Schiff plötzlich schlingern sollte, holte der Kommodore das Chronometer vorsichtig aus seinem Nest heraus und öffnete den Deckel auf der Rückseite, worauf der geschäftige, geheimnisvolle Mechanismus in seinem Inneren mit den Welle um Welle vorwärtsruckenden Zahnrädchen zum Vorschein kam. Dann nahm er den Aufziehschlüssel aus dem Schlitz im Kasten heraus, steckte ihn in die Öffnung auf der Unterseite des Chronometers und drehte ihn. Anschließend schloss er den Deckel und bettete den Zeitmesser wieder zwischen seine Kissen.
    Wie die Vorschrift es verlangte, wurde sodann der Wachposten hereingerufen, und alle drei sagten der Reihe nach zu ihm: Der Zeitmesser ist aufgezogen worden . Wenn der Wachposten die Worte von jedem von ihnen vernommen hatte – und erst dann –, trat er zur Seite und ließ sie hinausgehen.
    Rooke amüsierte sich insgeheim über diese Prozedur. Wäre Silk dabei gewesen, hätte er den Männern in der Offiziersmesse hinterher eine amüsante Geschichte darüber erzählt und Rooke nachgeahmt, wie er feierlich Der Zeitmesser ist aufgezogen worden zu dem mit unbewegter Miene dreinblickenden Wachposten sagte, nachdem dieser den Satz bereits zwei Mal gehört hatte.
    Das Aufziehritual brachte noch etwas anderes mit sich. Rooke war der rangniedrigste Offizier, ein Mann ohne Bedeutung, aber in diesen wenigen Minuten in der Kajüte war der Dienstgrad unwesentlich. In dieser kurzen Zeit war der Astronom Rooke dem Kommodore gleichgestellt.
    Bei schönem Wetter wäre die ganze Sache eigentlich überflüssig gewesen. Doch falls der Himmel bewölkt war und die Sextanten die

Weitere Kostenlose Bücher