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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Grenville
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mehr als diesem kaum wahrnehmbaren Anspannen einiger Gesichtsmuskeln hinreißen zu lassen.
    »Vielen Dank, Rooke«, sagte er betont herzlich, wie um Willsteads Gleichgültigkeit wettzumachen. »Ich finde es beruhigend, so genau zu wissen, wo ich mich befinde.«
    Dabei ließ er den Blick über die Sträucher schweifen, die sich hangabwärts an sie heranschoben, worauf Rooke sich fragte, ob die Bemerkung wirklich lobend oder womöglich leicht spöttisch gewesen war.
    Rooke ließ die beiden stehen und schritt mit dem Kompass in der Hand am Ufer des Baches entlang. Den Verlauf des Baches ermitteln , erläuterte er einem imaginären Fragesteller. Das letzte Tageslicht ausnutzen . Als er die Zweige eines Strauchs beiseite bog, um ans Wasser zu gelangen, flatterte vor seinen Füßen eine Ente auf. Erschrocken machte er einen Satz nach hinten. Die Ente flatterte weiter und schlitterte quakend aufs Wasser. Ihr Quaken klang wie Gelächter. Heck heck! Heck heck heck!
    An einem dermaßen fremdartigen Ort kam man sich so schutzlos vor, als hätte sich einem die Haut abgeschält.
    Rooke tat so, als erkunde er den weiteren Verlauf des Baches nach Norden hin, obwohl er in Wirklichkeit einfach nur die Umgebung in Augenschein nehmen wollte. In dieser Gegend, wo alles völlig neu war, kam er sich fast wie ein Blinder vor, so, als könne man ohne bestimmte Kenntnisse nicht richtig sehen. Ohne seinen Tornister und sein Notizbuch hoffte er, dass seine Augen zwischen all diesen Bäumen und Sträuchern Unterschiede wahrzunehmen begannen.
    Das Gras am Bachufer wirkte im schwächer werdenden Licht der tief stehenden Sonne ganz zart, das Grün so hell, dass es fast durchsichtig schien. Längs des Baches neigten sich die Tannenbäume zum Wasser hin. Tannen : So wurden sie hier von allen genannt. Doch als er einen der Nadelzweige abbrach, erkannte er, dass diese Tannennadeln schachtelhalmartig gegliedert und an der Spitze verdickt waren. Welches Blatt, welche Nadel schob sich wie ein Fernrohr Segment für Segment nach außen?
    Rooke hatte sich Fremdheit gewünscht. Diese Gegend jedoch war in einem solchen Maße fremd, dass sie unbegreiflich war.
    Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kam der Wildhüter mit einem erlegten Opossum und zwei Papageien zurück. Der Ausflug in den Wald hatte ihn mit neuer Energie erfüllt.
    »Keine große Auswahl an Wild, Sir«, hörte Rooke ihn zum Gouverneur sagen. »Aber was sich bewegt, Sir, wird von mir erschossen!«
    Brugden strotzte vor Zufriedenheit und sah stolz zu, wie sich einer der Soldaten an Federn und Fell zu schaffen machte. Der Eintopf, den das Fleisch dieser Tiere ergab, sah zwar nicht sonderlich appetitlich aus, war aber trotzdem eine willkommene Ergänzung zu der kleinen Ration harten alten Brots.
    Nach dem Essen war Rooke wie alle anderen froh, sich in seine Decke wickeln zu können. Von dem gnadenlosen Auf und Ab des vergangenen Tages zitterten ihm noch immer die Glieder, tausende Insekten hatten ihn gestochen, und die Decke bot kaum Schutz gegen die nächtliche Kälte.
    Doch als er schließlich kurz vor dem Einschlafen war, ging ihm folgender Gedanke durch den Kopf: Es gibt auf der Erde keinen Ort, an dem ich lieber wäre .
    ✳
    Auf ihrem Marsch weiter in Richtung Westen hatten sie sich von dem Fluss entfernt, stießen nach zwei Tagen aber wieder darauf. Längs des Ufers war schon ein ausgetretener Pfad zu erkennen, der von Füßen stammte, die vor ihnen hier gewesen waren.
    »Ah«, rief der Gouverneur aus. »Endlich treffen wir vielleicht auf ein paar Eingeborene!«
    Rooke fragte sich, wie die Unterhaltung mit ihnen wohl beginnen würde. Man ging auf sie zu und sprach sie an, vermutete er. Damals, an jenem ersten Tag am Strand hätte er es weniger mit Geschenken, sondern mit mehr Worten versuchen sollen. Die zweite Gelegenheit, sie anzusprechen, hatte er verpasst, als die beiden Eingeborenen an seiner Hütte vorbeigegangen waren.
    Eine dritte Gelegenheit würde er sich nicht entgehen lassen. Er ging die Szene im Geiste durch: wie er die Muskete ablegte und dann mit leeren, ausgestreckten Händen auf sie zuging. Er würde nicht warten, bis der Gouverneur etwas anordnete, sondern die Initiative ergreifen. Aber was dann? Wie würde er das Gespräch beginnen?
    Da gar keine Eingeborenen auftauchten, ergab sich auch keine Gelegenheit, diese Frage zu klären, doch einhundertvierunddreißig Schritte später stießen sie auf Bäume mit frischen Einkerbungen, aus denen roter Saft quoll. Zweihundertsieben

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